When the Persimmons Grew
Dokumentarfilm, AT/AZ 2019, Farbe, 119 min., OmeU
Diagonale 2020
Regie, Buch, Kamera, Schnitt: Hilal Baydarov
Produzent:innen: Georg Tiller, Maéva Ranaïvojaona
Produktion: Subobscura Films
Diagonale’20 – Die Unvollendete. Die Diagonale’20 wurde aufgrund der behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 abgesagt.
Eine Frau auf dem Land in Aserbaidschan. Sie wartet auf die Ankunft ihres Sohnes. Seine Rückkehr aus der Stadt wird zur persönlichen und zugleich philosophisch-abstrakten Begegnung zwischen den beiden. Der Raum wird unübersichtlich, die Zeit schwebend. Hilal Baydarov geht es weniger um die Erzählung von Abläufen und Kausalitäten, vielmehr um eine reine Zeitlichkeit, die alles durchdringt und die Verhältnisse zwischen Personen, zwischen Mensch und Natur, zwischen uns und der Leinwand bestimmt.
Irgendwo in Aserbaidschan auf dem Land wartet eine Frau auf die Rückkehr ihres Sohnes mit dem Zug aus der Stadt. Am Morgen steht sie auf, trinkt ihren Tee am Fenster ihres in die Jahre gekommenen Hauses, geht in den Garten, unternimmt lange Spaziergänge durch die umliegende Landschaft, beobachtet die Kakifrucht beim Reifen, erinnert sich an früher – bis er ankommt. Seine Rückkehr wird zu einer Zusammenkunft, in der sich Mutter und Sohn auf sehr persönliche und zugleich philosophisch-
abstrakte, zurückhaltend leise und doch intensive Weise begegnen.
Es ist nicht endgültig zu sagen, ob When the Persimmons Grew Dokumentar- oder Spielfilm ist. Die Frau ist die Mutter des Regisseurs, den Sohn verkörpert er selbst, die Orte auf dem Land sind real, authentisch, Teil einer belebten Welt. Hilal Baydarov macht Bilder von Menschen und ihrem Alltag und verwebt sie auf eine dezidiert poetisierende, also verfremdende Art und Weise: Der Raum wird unübersichtlich, die Zeit wird frei schwebend, es geht nicht so sehr um Kausalitäten und Abfolgen als vielmehr um Augenblicke und Verhältnisse. Außer dem groben Ablauf der Ernte, des Trocknens und des Zubereitens der Kakifrucht folgt der Film eigentlich keiner linearen Geschichte, sondern ist eher eine organische, sich in alle Richtungen verwebende und überlagernde Textur.
Dabei entsteht eine Kinoerfahrung, die sich von einer konkreten Zeit löst, um zu einer „reinen Zeit“ zu werden. Gegenwart, Vergangenheit und Erinnerungen gehen hier fließend ineinander über, Sprache, Geräusche und Stille bilden einen durchgehenden Rhythmus – abstrakte Musik –, und über die Leinwand mäandern Schattierungen der grün-bräunlichen, satt-gedämpften Farbpalette des Films. When the Persimmons Grew atmet eine bestimmte Kinoluft – Tarkowski, Akerman, Deleuze – und ist dabei aber nicht nur Form: Im Stillstellen der Zeit, in der Gegenwart aller Erfahrungen zwischen Mutter und Sohn, zwischen Mensch und Natur, zwischen uns und den Bildern liegt der Schlüssel zu einer Zärtlichkeit und Geduld, die der Film sowohl der Kunstform, die er ist, als auch der Welt, die er abbildet, entgegenbringt.
(Katalogtext, ab)
When time had no name and was not measured in numbers, it was marked by the rhythms of nature. My father was born „when the rivers overflowed and the grass was harvested,“ says my grandmother, meaning my father was born in June.
(Hilal Baydarov)