Bewegungen eines nahen Bergs
Spielfilm, AT/FR 2019, Farbe, 85 min., OmeU
Diagonale 2019
Regie, Buch: Sebastian Brameshuber
Darsteller:innen: Clifford Agu
Magnus Ogbonna
Kamera: Klemens Hufnagl
Schnitt: Dane Komljen, Sebastian Brameshuber
Originalton: Johannes Schmelzer-Ziringer
Sounddesign: Johannes Schmelzer-Ziringer
Weitere Credits: Künstlerische Mitarbeit: Bárbara Palomino-Ruiz
Zusätzliche Kamera: Jenny Lou-Ziegel
Produzent:innen: Ralph Wieser, David Bohun, Sebastian Brameshuber
Produktion: Mischief Films - Verein zur Förderung des Dokumentarfilms & Co KG
Koproduktion: Panama Film
Le Fresnoy (FR)
Einer Sage nach ist das Auffinden des Eisenvorkommens
im Erzberg in der Obersteiermark einem
Wassermann zu verdanken. Gefangen genommen
von den Bewohnern des Umlandes, zeigte das Wesen
den Männern im Tausch gegen die Freiheit den Erzberg
– mit „Eisen für die Ewigkeit“, das der Region
für mehrere Jahrhunderte Arbeit und Wohlstand
brachte, bis der Eisenhandel mit dem Voranschreiten
der Industrialisierung seinen Niedergang erlebte und
zahlreiche leer stehende Werke hinterließ.
Unweit des Bergs, in einem abgelegenen Gebäude
auf einem ehemaligen Industriegelände, türmen
sich Stoßstangen, Auspuffanlagen und Autoreifen.
In dieser Halle betreibt Cliff ein Exportgeschäft mit
Gebrauchtwägen und Autoteilen zwischen Österreich
und seiner alten Heimat Nigeria. In ruhigen,
langen Einstellungen beobachtet die Kamera kräfteraubende
Arbeitsroutinen auf dem Werkstattgelände:
Stoßstangen werden abmontiert und durch den
Raum gehievt, Motoren herausgehoben und ganze
Autos auf die Seite gekippt, um die Unterseite der
Karosserie zu zerlegen – ein Klackern und Klopfen,
das rhythmisch durch den Raum hallt. Zwischen
diesen körperlichen Anstrengungen wird verhandelt
und gefeilscht: mit potenziellen Käufer/innen aus der
Gegend oder konkurrierenden Händler/innen aus
Osteuropa, die jene Autoteile erwerben wollen, die
nicht für den immer schwieriger werdenden Handel
mit Nigeria reserviert sind. Es ist ein Durchrechnen,
ein Abwägen und ein Warten in dieser steirischen
Abgeschiedenheit, in die sich der Fluch des Wassermanns
und Erinnerungen an wohligere Tage eingeschrieben
haben.
Sebastian Brameshuber setzt in einem Spiel aus
Fiktion und Dokumentation feine künstlerische Interventionen,
schiebt seine Beobachtungsstücke ineinander
und lässt in der Ton-Bild-Montage die Zeit
rätselhaft auseinanderfallen. So ist Bewegungen
eines nahen Bergs ein Film mit sanfter Poesie über
Vergänglichkeit, Einsamkeit und Verbundenheit, der
auf ökonomische Umbrüche in einer kaum beachteten
Arbeitswelt verweist.
(Katalogtext, jk)
Ich war fasziniert vom steten Tempo, in dem
Cliff seine Arbeit verrichtet und sich durch den Raum
bewegt. Auf mich wirkte es so, als wäre die Zeit in
seiner Werkstatt seltsam greifbar, als ob seine Körperbewegungen
auf einen leichten Widerstand stoßen
würden, ähnlich wie dies unter Wasser der Fall
wäre. Diese Eindrücke wurden durch sein Alleinsein
verstärkt. Die gesamte Umgebung, voll von Spuren
und Erinnerungen, ist von einer Vorahnung der Vergänglichkeit
durchdrungen. Cliff führt ein Dasein
am Rande des kapitalistischen Systems und des
Welthandels, wo deren Widersprüche und Grenzen
offensichtlich werden, wo jedoch die gewaltige Anziehungskraft,
die ihr Zentrum ausübt, immer noch die
vorherrschende Kraft ist.
(Sebastian Brameshuber)