DIE MELANCHOLIE DER MILLIONÄRE
Dokumentarfilm, AT 2018, Farbe, 82 min., OmeU
Diagonale 2019
Regie, Kamera, Schnitt, Originalton: Caspar Pfaundler
Buch: Konzept: Caspar Pfaundler
Musik: Jean-Frederic Edelmann
Sounddesign: Mischung: Axel Rab
Weitere Credits: Farbkorrektur und DCP: Ulrich Grimm
Produzent:innen: Caspar Pfaundler
Produktion: Caspar Pfaundler
Ein Haus in der Innenstadt, das
als „Kunstwerk“ und „permanente
Installation“ bezeichnet wird. DIE
MELANCHOLIE DER MILLIONÄRE
beschreibt dieses Haus entlang
von Gesprächen dreier Bewohner:
Es geht um Drogen, sexuelle und
spirituelle Identitätsfindung, Familienkonflikte
und das Verwebtsein
in die (jüdische) Wiener Kultur und
Geschichte mit ihrer Obsession für
Status, Ansehen, Titel und Oberfläche.
Ein Grenzgang, thematisch
wie formal.
„Wie kamen Sie in mein Leben, was hat mich
dazu bewogen, den nächsten Irrsinn zu begehen?“,
fragt Dr. H. zu Beginn von Caspar Pfaundlers DIE
MELANCHOLIE DER MILLIONÄRE Herrn Gerald,
dessen tatsächliches Verhältnis zu ihm so undurchschaubar
bleibt wie vieles an Konkretem, rational
Nachvollziehbarem in diesem Film. Im Zentrum steht
ein Haus in der Wiener Innenstadt, das Herr Gerald als
„Kunstwerk“ und „permanente Installation“ bezeichnet
und das Dr. H. gehört. Über den Hauptteil des
Films wird dieses nicht in seiner Gesamtheit sichtbar,
vorstellbar aber wird es aus im Grunde nur drei langen
Gesprächssequenzen, in denen Dr. H., dessen Bruder
B. und Herr Gerald zueinander und mit dem Filmemacher
hinter der Kamera sprechen: Es entsteht vor
dem inneren Auge, erwächst aus den geschilderten
Beziehungen und Begegnungen, die darin stattgefunden
oder zu seinem Entstehen beigetragen haben.
Auch die wenigen, mehrheitlich statischen
Einstellungen sind keine Bilder, die eine klare Lesbarkeit
ermöglichen. Sie scheinen weder Codes
noch Regeln zu entsprechen, sind überraschend,
leicht ins Irritierende verschoben kadriert – oft sitzen
die Männer im Gegenlicht, sodass Gesichter,
Einrichtungsgegenstände, von den Gesprächsdynamiken
hervorgerufene emotionale Regungen
nur bruchstückhaft zu erkennen sind. Und auch die
Montage ermöglicht keinen Überblick, in dem uns
das Haus oder wenigstens eine Wohnung darin
zumindest von innen erschlossen würde.
Auf eigenartige Weise ist die Form des Films
verweigernd (gegenüber den oftmals ohnehin verschlafenen
Konventionen eines vermeintlich „guten“
Dokumentarfilms) und durchlässig (für die Menschen
und ihre Geschichten im Film). So entsteht, ganz wie
bei einem Kunstwerk, ein alternatives Zeitgefühl und
Raumgeflecht, das sich aus den erzählten Fäden,
Begegnungen und Ereignissen fügt, ohne je vollständig
ineinander aufzugehen: Drogenhandel und
-konsum, sexuelle und spirituelle Identitätsfindung,
medizinische Komplikationen und Familienkonflikte
treffen sich immer wieder auch mit Fragmenten
von (jüdischer) Wiener Kultur und Geschichte voller
Obsessionen für Status, Ansehen, Titel und Oberfläche.
In seiner Gesamtheit wirkt es manchmal so, als
wären hier ein Haus und die Stadt, in dem es steht,
in Therapie. Die manchmal rabiaten, teilweise schonungslosen,
oft auch intim-zärtlichen Dialoge locken
schließlich auch den Filmemacher akustisch hinter
der Kamera hervor, um zu besprechen, was bleibt:
von den Menschen, ihren Geschichten, dem Haus
und der darin verkörperten Idee. Ein Grenzgang, thematisch
wie formal.
(Katalogtext, ab)