Diagonale
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Kinder unter Deck
Dokumentarfilm, AT 2018, Farbe, 90 min., OmdU
Diagonale 2018

Regie: Bettina Henkel
Kamera: Astrid Heubrandtner-Verschuur
Schnitt: Oliver Neumann, Niki Mossböck
Originalton: Stefan Rosensprung
Musik: Thomas Desi
Sounddesign: Stefan Rosensprung
Weitere Credits: Konzept: Bettina Henkel
Produzent:innen: Oliver Neumann, Sabine Moser
Produktion: FreibeuterFilm

 

Bettina Henkel begibt sich auf eine emotionale Reise, um verdrängte Traumata aufzuarbeiten, die von der einen Generation zur nächsten unbewusst weitergegeben wurden: Als Kriegsenkelin einer Baltendeutschen ergründet sie Verdrängungen, als Tochter befragt sie den Vater, als Filmemacherin gräbt sie in Archiven. Und dringt immer tiefer in das Dickicht ihrer Familienbiografie vor. Ein Film über Erinnerungskultur(en) und die Erblichkeit von Wunden, die – so heißt es am Ende – die Zeit allein nicht heilen kann.

Zarte Striche und Schattierungen auf einem weißen Hintergrund, ähnlich einer Zeichnung. Klarer werden die Linien, schemenhaft formieren sich Umrisse, die eine Puppe zeigen, dann ein Mädchen, umgeben von anderen, bis das Bild als abgefilmte Fotografie zu erkennen ist. Das Kind in der Mitte ist Helges verstorbene Mutter, und Helge ist Bettina Henkels Vater. Kinder unter Deck begleitet eine emotionale Reise, die die Filmemacherin selbst gemeinsam mit ihrem Vater antritt, um Traumata aufzuarbeiten, die von der einen Generation zur nächsten unbewusst weitergegeben wurden. Die Psychologie spricht von der transgenerationalen Übertragung von Traumata: die unbewusste Weitergabe von Unbewältigtem, auch über nonverbale Kanäle.
Bettina Henkel hat ihre Großmutter als wortgewandte und charismatische Grande Dame in Erinnerung – sehr zum Missfallen des Vaters, der sich doch lange gegen diese Reise gesperrt hatte. „Ich spürte diffus, dass da etwas war, was ich nicht benennen konnte, aber Auswirkungen auf mich hatte“, heißt es zu Beginn. In Lettland besuchen sie den Kindheitsort der Großmutter, in Polen den des Vaters, tasten sich an jene Jahre heran, die bis heute nachwirken. Die Filmemacherin findet Gemeinsamkeiten: die Großmutter war Ärztin, der Vater – heute Psychoanalytiker – ein Internist. Beide Schachspieler. Beide rätselhaft unnahbar.
Immer tiefer dringt die Filmemacherin ins Dickicht der Familienbiografie vor, sortiert die Ablagerungen im Unterholz: Kurz vor Helges Geburt 1939 übersiedelte die deutsch-baltische Familie in das bereits annektierte Polen – die Großmutter hatte sich gegen das liberale Schweden und für den Nationalsozialismus entschieden. In ihren Suchbewegungen nimmt Henkel unterschiedliche Rollen ein: Als Kriegsenkelin spürt sie dieser Fluchtgeschichte, den damit verbundenen Traumata und der Verdrängung einer nationalsozialistischen Vergangenheit der Großmutter nach, die vor Jahrzehnten in einem diffusen Bruch zwischen dem Vater und dessen Mutter mündete. Als Tochter befragt sie den Vater, verkehrt seine Rolle des Therapeuten in die des Patienten und bohrt nach, bis es ihm unangenehm wird. Als Filmemacherin gräbt sie in Archiven, um zu kontextualisieren. Ein Dreiklang, der auf der visuellen Ebene eine Entsprechung findet: in eingeflochtenem historischem Archivmaterial, in Fotografien aus dem Familienfundus und in körnigen Super-8-Filmausschnitten aus ihrer Kindheit. Ein Film über Erinnerungskulturen und die Erblichkeit von Wunden, die – so heißt es am Ende – die Zeit allein nicht heilen kann.
(Katalogtext, jk)

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