Diagonale
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Code inconnu
Spielfilm, FR/AT/RM/DE 2000, Farbe, 118 min., frOmdU
Diagonale 2024

Regie, Buch: Michael Haneke
Darsteller:innen: Juliette Binoche, Thierry Neuvic, Josef Bierbichler, Alexandre Hamidi, Maimouna Hélène Diarra
Kamera: Jürgen Jürges
Schnitt: Karin Hartusch, Nadine Muse, Andreas Prochaska
Musik: Giba Gonçalves
Szenenbild: Emmanuel de Chauvigny
Kostüm: Françoise Clavel, Gloria Papura
Produzent:innen: Marin Karmitz, Alain Sarde
Produktion: Arte France Cinéma
Koproduktion: Bavaria Film (DE), Canal+ (FR)

 

Ausgehend von einem Vorfall auf einem Pariser Boulevard folgt Michael Hanekes Film mehreren Personen, unter anderem einer Schauspielerin (Juliette Binoche). Jürgen Jürges filmt die fragmentierten Szenen als Plansequenzen, die abrupt beginnen und enden. Die Wirklichkeit zerfällt in ihre Bestandteile. Nicht die Erzählung verbindet die Figuren, sondern etwas anderes: die allgegenwärtige Gewalt und die schreckliche Indifferenz ihr gegenüber. Hanekes formal ambitioniertester Film ist, vielleicht, sein grausamster.

Ausgehend von einem Vorfall auf einem Pariser Boulevard folgt der Film verschiedenen Personen: einer Schauspielerin (Juliette Binoche) und einem Kriegsfotografen, dem jüngeren Bruder des Kriegsfotografen, einem jungen Mann of Color und einer Bettlerin aus Rumänien. Der Krieg ist „anderswo“ und nur präsent durch Bilder, seine Realität unvorstellbar, die Differenz zwischen Wirklichkeit und bildlicher Repräsentation tragisch und absolut. Währenddessen richtet sich die Gewalt im „Hier“, wie so oft bei Michael Haneke, gegen die Kinder.

Code inconnu kehrt das Prinzip von 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls (1994) um – dort steht das die Figuren einende Ereignis am Ende – und radikalisiert die fragmentarische Struktur auf einer formalen Ebene. Jürgen Jürges filmt alle Szenen als ungeschnittene Plansequenzen, die abrupt beginnen und enden – angefangen bei einer beeindruckenden Kamerafahrt durch die Straßen von Paris. Immer wieder spaltet die Kamera den Raum zwischen den Figuren auf, die lange verharren, bevor sie sich annähern oder auseinandergehen.

Die „Wahrheit“ einzelner Episoden oder Geschehnisse bleibt subjektiv und letztlich unzugänglich; was die durch Schwarzfilm getrennten Episoden und die in ihnen agierenden Menschen zusammenhält, ist so rätselhaft wie der titelgebende Code. Es sei denn, es handelt sich um die allgegenwärtige Gewalt und die allgemeine Indifferenz ihr gegenüber, die sich durch Jürges’ Kamerabewegungen und die fragmentierten Szenen horizontal durch den ganzen Film hinweg ausbreiten. Insbesondere zwei Szenen lassen das Blut in den Adern gefrieren: Binoche, die beim Bügeln die Schreie eines geschlagenen Kinds hört; Binoche, die in der Metro belästigt wird. Und nichts unternimmt, Zuschauerin wird, die Gewalt ebenso duldet wie die passiven Zuschauer:innen des Films.

Code inconnu ist die genaue Beschreibung einer grässlichen, brutalen und feigen Gesellschaft, damals ebenso wie 24 Jahre später. Einer der formal ambitioniertesten Filme Hanekes, vielleicht sein grausamster. (Philipp Stadelmaier)

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