Am Rande der Welt
Dokumentarfilm, AT 1992, Farbe, 90 min., OmdU
Diagonale 2023
Regie, Buch: Goran Rebić
Darsteller:innen: Levan Shanidze, Merab Ninidze, Tako Tsharkviani, Levan Jordanishvili u.a.
Kamera: Jerzy Palacz, Gerald Liegel
Schnitt: Frank Soiron
Originalton: Frank Soiron
Musik: Ludmilla Makarova, Tako Tsharkviani
Produzent:innen: Erich Lackner
Produktion: Lotus Film
Der Dokumentarfilm Am Rande der Welt wurde in Tbilissi (Tiflis), Georgien, im Jahr der Unabhängigkeit, 1991, und zwölf Monate später, 1992, im Jahr des Bürgerkriegs gedreht. Die Zeit der jungen Demokratie, in der Statuen gestürzt und Plätze umbenannt werden, lässt die Georgier*innen nach Jahrzehnten der Unterdrückung und der Isolation etwas wie Freiheit spüren. Doch dann folgt die Zeit des Krieges – und Zusammenstöße zwischen Anhänger*innen und Gegner*innen der alten Macht beherrschen die Straßen.
Am Rande der Welt wird in Tbilissi (Tiflis), der Hauptstadt Georgiens, gedreht: im Jahr der Unabhängigkeit, 1991, und zwölf Monate später im Jahr des Bürgerkriegs, 1992. Es ist die Zeit der jungen Demokratie. Statuen stürzen, Plätze werden umbenannt. Alles scheint, nach jahrzehntelanger Unterdrückung und Isolation, anders zu werden. „Freiheit“ und „Heimat“ sind die Utopien einer hoffnungsvollen Zukunft. Es ist „die Zeit der Lieder“. Aber dann folgt „die Zeit des Krieges“: Die Auseinandersetzungen zwischen Anhänger*innen und Gegner*innen der alten Macht bestimmen nun das Bild auf den Straßen von Tbilissi (Tiflis). Blutige Kämpfe und Bombenterror werden zum Alltag. Und Begräbnisse. Am Rande der Welt folgt diesen Spuren des Todes. Der Film dokumentiert neben dem allgemeinen Kriegsgeschehen auch die Auswirkungen auf das Schicksal Einzelner und beschreibt, wie Radikalisierung der Gewalt unaufhaltsam fortschreitet. In Am Rande der Welt kommt es zu vielen persönlichen Begegnungen: Mit Levan Shanidze, einem jungen TV-Kameramann, der in den Ausbruch der Kämpfe geraten ist und sie auf ungewöhnliche Weise festgehalten hat; mit Merab Ninidze, einem jungen Schauspieler, der zur Zeit des Bürgerkrieges in Europa war und von seiner Rückkehr als Fremder erzählt; mit Tako Tsharkviani, einer Pianistin, die mit ihren traurigen Liedern eine entschwundene Heimat beschwört; und mit Levan Jordanishvili, einem Englischprofessor, der sich unvermutet mit dem Gewehr in der Hand als Offizier der georgischen Streitkräfte wiederfindet. Am Rande der Welt ist keine politische Analyse. Der Film beschwört das Leben, das es nicht mehr gibt.
(Lotus Film)
Goran Rebić ist kein politischer Analytiker oder Kriegsreporter, er zeigt, was ist: Chaos, Trauer, Verwirrung, Verfall. Ein alter Mann auf einem Friedhof beschuldigt Gamsachurdia als Satan, während nicht weit entfernt dessen und viele andere Bücher von bedeutenden georgischen Schriftsteller*innen verbrannt werden. Am Anfang sagt ein alter Mann am Sarg seines Sohnes, Georgien sei nun ein freies, aber heruntergekommenes Land. Eine junge Frau empfindet sich nur noch als Alien im eigenen Land. Ganz anders die Stimmung in einem Tifliser armenischen Café, die alten Männer schauen zwar nicht ganz glücklich aus, aber von Bürgerkrieg weit und breit keine Spur. Und einer sagt: „Wir leben hier in Frieden, der Wodka ist immer noch billiger als in Moskau.“ Sinnloses Sterben, sinnloses Trinken, sinnlose Zukunft. Goran Rebić zeigt all diese Furchtbarkeiten mit großer Empathie, ja Zärtlichkeit. Kinder zeichnen Bilder wie später in Jugofilm und The Punishment , Derivate vollkommen unnotwendiger Gewalt. Aber Goran Rebić ist auch ein im besten Sinn musikalischer Filmpoet. Ein Engel der Sanftheit in einem Heer von Trübsal. So taucht die Ziehharmonika spielende Taxifahrerin aus seinem Vorgängerfilm besänftigend immer wieder auf, mit einem hebräischen, einem armenischen und, ja, auch einem russischen Lied.
(Katalogtext, Otto Reiter)
Am Rande der Welt ist nicht dem Argument verpflichtet, sondern der Evidenz des Realen, und dieses Reale ist nicht homogen und nicht zu ordnen. Diesem Umstand wird der Film gerecht, indem er sich nicht zu wohlfeilen Erklärungen heranzieht, sondern in ihrem Sein belässt, oder indem er die Einschnitte und Leerläufe beschreibt, um Ruhe und Reflexion zu finden. Näher kommt das Kino nicht heran.
(Michael Palm)