Diagonale
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The Punishment
Dokumentarfilm, AT 2000, Farbe, 91 min., OmdU
Diagonale 2023

Regie, Buch: Goran Rebić
Darsteller:innen: Zivota Neimarević, Dragan Jovanović, Nebojsa Glogovac, Biljana Srbljanović Tijana Mandić, Vlado Gavrilović, Bratislav Zrnzević, Natasa Kandić, Sonja Savić
Kamera: Jerzy Palacz
Schnitt: Martin Matusiak
Originalton: Radoslav Bojkovic, Branko Dordevic
Produzent:innen: Franz Novotny
Produktion: Novotny&Novotny

 

Ein Frühlingstag in Belgrad, 1999. The Punishment beginnt mit einer Einstellung auf ein Hochzeitspaar irgendwo in der Stadt. 78 Tage lang wurde Serbien bombardiert. Der Film unternimmt eine dokumentarische Reise durch Belgrad vom NATO-Bombardement bis zu den Millenniumsfeierlichkeiten. Er ist ein Dokument des Lebens in einer trostlosen Stadt, ein Porträt wachsender Hoffnungslosigkeit in der Bevölkerung, weit entfernt von der Kriegsberichterstattung der Medien. Goran Rebić lässt Dramatiker*innen und Schulkinder, Philosoph*innen, Wissenschaftler*innen, Menschenrechtler*innen und Kriegsteilnehmer*innen zu Wortkommen, jene, die davor keinen Platzin den Reportagen und Kriegsnachrichten hatten.

Der Film erzählt, in Stadtbildern und Interviews, von den Lebensbedingungen in Belgrad unmittelbar nach dem Nato-Bombardement: ein Film-Essay über Dissidenz und Zerstörung, über den Verlust von Hoffnung und Heimat – und über den unverstellten Blick auf die Ergebnisse eines Krieges, die in der Berichterstattung der restlichen Welt so nicht gezeigt wurden. Stimmen einer gefährdeten Opposition: Am Wort sind hier Dramatiker*innen und Schulkinder, Philosoph*innen, Wissenschaftler*innen, Menschenrechtler*innen und Kriegsteilnehmer*innen. Filmemacher Goran Rebić denkt nicht in Völkern und Ethnien, sondern in Individuen – sein Film gilt den subjektiven Wirklichkeiten, weil die „objektiven“ Wahrheiten längst ihre Gültigkeit verloren haben: Detailaufnahmen einer Stadt in Europa, Ende des zwanzigsten Jahrhunderts.
(The Punishment Presseheft)

The Punishment erzählt nicht vom Nato-Bombardement und von den Zerstörungen, er erzählt über die zehn Jahre Krieg, die davor liegen, und was sie mit den Menschen in Belgrad gemacht haben, die nicht Milošević gewählt haben und auch das Land nicht verlassen konnten. Ich wollte in dem Film jenen eine Stimme geben, die bis dahin in den Medien ungehört geblieben sind, die das andere Gesicht Serbiens repräsentierten, die von Beginn an gegen das verbrecherische Regime ankämpft haben und sich in verschiedenen Organisationen und Institutionen engagierten, wie die Frauen in Schwarz, das Zentrum für kulturelle Dekontamination, Otpor und andere Aktivisten, die offen über das Morden sprachen, über Srebrenica, und dafür als Landesveräter*innen und Defätist*innen verfolgt wurden.
(Katalogtext, Goran Rebić)

Rebić gibt dem Krieg und seinen Wirkungsweisen Gesichter und Räume, er revidiert vertraute Bilder und sicheres Wissen: Ein Kameramann erzählt von der Nacht, da die Nato eine Fernsehstation in Belgrad in Schutt und Asche gelegt hat, und er zeigt die Aufnahmen, die er selbst vom zerstörten Gebäude und seinen unter den Trümmern begrabenen Kollegen gemacht hat. Die internationale Politik denkt in Völkern, nicht in Menschen. Rebić geht den umgekehrten Weg. Seine Held*innen sprechen nicht für alle, sondern für sich selbst, sie sind Individuen, nicht Stellverteter*innen, genau wie der Filmemacher, der sich hier keineswegs als der wissende Herr der Dinge darstellt: Immer wieder taucht er selbst im Bild auf, als Fragender, als Beobachtender und Durchreisender.
(Stefan Grissemann, Diagonale-Katalog 2000)

Wie um es bloß nicht zu vergessen, filmt Rebić immer wieder seine Dreharbeiten, die Suche nach dem eigenen Standort. Der ist prekär. Die einen sagen „wir“, die anderen „ihr“. „Ihr habt uns verändert“, erzählt ihm eine Frau. Er lebt in Wien. Sie steht am Flughafen von Belgrad. Von dort startet am Tag eine einzige Maschine nach Moskau. Der Kontext ist dort, wo man steht, selbst wenn man nicht so richtig weiß, ob man dort stehen kann und darf. Auf das, was sie da redet, stehen zwei Monate Gefängnis, sagt eine andere Frau. Wenn es überhaupt jemanden interessiert. Aber es interessiert nicht. Nicht den Milošević und nicht den Westen. Den Rebić interessiert es. Aber dem wird kein Standort zuerkannt. Er sucht sich also mühsam eine Perspektive.
(Hito Steyerl, jungle.world)

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