Happy-End
Innovatives Kino kurz, AT 1996, Farbe+SW, 11 min., kein Dialog
Diagonale 2022
Regie: Peter Tscherkassky
Kurzfilme, die Ekstase, Trance und Euphorie ganz ohne Nebenwirkungen versprechen! Ihr gemeinsame Nenner: Alkoholeinfluss. Mit Prost (ein Expanded-Cinema-Lichtspiel), Schwechater (die innovative Nutzung von Bier als Filmmaterial), 17/68 Grün-rot (ein Flaschen-Licht-Gedicht), Rauchen und Saufen (Tschick und Wein „bis zum Erbrechen“), Odessa (die besoffene Entzauberung der berühmten Stummfilmszene aus Panzerkreuzer Potemkin), Happy-End (eine süffige Homemovie-Zeitstudie), Dreh & Trink (ein alkoholischer Selbstversuch mit rotierender Kamera) sowie 23/69 Underground Explosion (mit Alkohol und Amphetaminen zum Avantgardefilm). In diesem Sinne: Prost!
Das Rauschhafte der filmischen Erfahrung wird gerade im Avantgardekino besonders häufig beschworen, zumal dessen formale Verdichtung und innovative Gestaltung immer wieder Wirkungen hervorruft, die Ekstase, Trance und Euphorie produzieren können (und das ganz ohne Nebenwirkungen). Würde man alle diese Formen des Taumels berücksichtigen, fände man sich rasch auf uferlosem Terrain wieder – also wurde für dieses Programm experimenteller Kurzfilme schlankerhand die Verbindung zur meistverbreiteten Form des Rauschs zum Kriterium erhoben: Alkoholeinfluss. (Nebenbei hat dies auch dazu geführt, dass manche Filmemacher*innen, die Großes für den filmischen Rausch geleistet haben, leider übergangen werden mussten – oder sich an anderen Stellen dieser Retrospektive wiederfinden, wie zum Beispiel Mara Mattuschka.)
Zum Auftakt schien es dienlich, das Publikum gleich einzubinden: Im minimalen Expanded-Cinema-„Lichtspiel“ von Ernst Schmidt jr. wandert eine weiße Linie über die Leinwand, wenn sie an den Rand stößt, darf man „Prost!“ rufen. Solcherart eingestimmt zeigen zwei weitere Klassiker der Austroavantgarde, wie man Bier innovativ als Filmmaterial nutzt: Peter Kubelkas Schwechater arrangiert Kader von einem Werbespot-Auftragsdreh zum rhythmisierten Meisterstück des strukturellen Films, Kurt Krens 17/68 Grün-rot – angeblich betrunken gefilmt – macht aus fragmentarischen Aufnahmen einer Flasche ein Licht-Gedicht.
Im nächsten Schritt wird die Wirkung von Alkohol am eigenen Körper erforscht, mit Resultaten, die weniger ernüchtern als erheitern. Für Rauchen und Saufen filmte sich Albert Sackl im Zeitraffer, wie er viereinhalb lang Stunden Tschick und Wein „bis zum Erbrechen“ konsumierte, um dann ein benommenes Echtzeitresümee anzuhängen. In ähnlicher Besoffenheit torkelt Catrin Bolt mit ihrer Kamera die Stufen von Odessa hinab, was den Schauplatz der berühmten Stummfilmszene aus Panzerkreuzer Potemkin eindeutig entzaubert.
Peter Tscherkasskys Happy-End macht aus den über Jahrzehnte hinweg aufgenommenen Homemovies eines Wiener Ehepaars beim Feiern eine süffige Zeitstudie, in der sich zum klebrigen Chanson Bilder der prostenden Gesten in Eierlikör-Entzücken amüsant vervielfachen, während die Jahre verfließen – bis die Vergänglichkeit im Mehrfachbelichtungs-Totentanz ihr Recht fordert, begleitet vom „Requiem aeternam“.
Mit Dreh & Trink wird der alkoholische Selbstversuch zum Gruppenerlebnis und das filmische Dokument quasi automatisch (im Sinne der Surrealisten) zum Experiment. Im „Trinkspielfilm“ mit rotierender Kamera wird die Freund*innenrunde um das Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala immer betrunkener, die unvermeidliche Entgleisung hat viele lustige Folgen – aber nicht nur: Es ist auch ein Film über die Liebe.
Was kann diesen Rausch noch übertreffen? Vielleicht noch mal Kurt Kren, der bei seinem Bericht über ein Undergroundfestival auf Tour mit dem Titel 23/69 Underground Explosion mit einer neuen Mischung experimentierte: zum Alkohol noch Amphetamine, sodass der „aus der Hüfte“ schießende Filmemacher oft nicht mehr wusste, was er tat. Die daraus resultierende starke Kamerabewegung bringt eine neue Dimension in Krens Schaffen, das filmische Ergebnis funktioniert blendend als Beschreibung der Happening-Events. In diesem Sinne: Noch mal prost!
(Christoph Huber)