Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

Diagonale Webnotiz 2/2014

von Clarissa Thieme

 

Clarissa Thieme ist Filmemacherin und Medienkünstlerin. Sie studierte Kulturwissenschaft und Ästhetische Praxis in Hildesheim sowie Kunst und Medien an der UdK Berlin. Seit 2007 ist sie Teil des Künstler/innenkollektivs Werkstatt in Berlin. Ihr Kurzspielfilm RESORT wird bei der Diagonale 2014 gezeigt.

Ohne Worte / Film

Ich freu mich immer auf Graz im März, den Winter abschütteln, die Glieder in den ersten Sonnenstrahlen strecken. Auch die starren Einteilungsboxen abschütteln. RESORT dieses Jahr ist mein dritter Film auf der Diagonale. Mein erster fiktiver, ein Experiment mit Narration und dem Performativen. 2010 kam ich das erste mal mit Was bleibt zur Diagonale, das die einen ganz klar als strukturalistisches, ins Meditative zielendes Werk ansahen und die anderen als bildgewaltigen und auf Dialog verzichtenden, doch am Ende ganz klassischen Dokumentarfilm. Auf der Diagonale war er zuerst einmal Film. Eine Offenheit, die ich seitdem an der Diagonale unendlich zu schätzen gelernt habe.
Zwei Jahre später kam ich mit meinem ersten Langfilm the place we left wieder. Sechs Leute, frontal, leinwandfüllend, pausenlos redend. Über ihre Heimat, darüber wie sie sie verlassen mussten und was das eigentlich heißt. Dazwischen ohne Dialog Bilder ihrer Zuhause und von ihnen, wie sie uns ansehen. Publikum und Protagonisten verbunden durch ein stummes Schauen.

the place we left © Clarissa Thieme

Über mein Filmemachen zu schreiben ist für mich ein interessantes Paradox. Ich kam zum bewegten Bild, weil ich dem Wort schon als Kind nicht traute. Oder genauer: Ich hatte das Wort für meine Begriffe zu sehr im Griff, ich spielte Taschenspielertricks. Ich war früh trainiert, offen zu sprechen und mich doch immer hinter all diesen Buchstaben, Worthülsen und vor allem Geschichten zu verstecken. Ich berührte mich nicht, ich packte mich sicher weg. Auch wenn das sonst niemandem auffiel. Ich wusste es. Ich war einsam.

Auf der anderen Seite keine Worte zu finden, macht Angst – mir zumindest. Aber manchmal gibt es da eigentlich wirklich nichts zu sagen. Oft fangen wir dann aber erst recht an zu reden und zu reden. Die Gesellschaften, in denen wir leben, die Menschen in ihnen, wir alle auf unsere eigene spezielle Art und Weise, sind voller Tabus und kämpfen mit unseren eigenen Leerstellen und blinden Flecken, dem, was doch unsagbar, unsichtbar bleibt. Eine Menge der wirklich wichtigen Dinge im Leben kann nicht so einfach gesagt werden, nicht einfach erklärt oder gezeigt werden.

Alle meine Filme – so unterschiedlich sie sind – kreisen um diesen schmalen Grat, wo die Narration versagt und wo sie gleichzeitig immer wieder von Neuem beginnt, als Trostpflaster, als Krücke, als Welterklärer. Denn Menschen erzählen immer und überall. Wir erzählen uns uns selber, wir erzählen uns unsere Welt und all das sind unsere ureigenen Erfindungen – was nicht heißen soll, dass sie nicht wahr wären.
Meine Filme kreisen um den Zweifel, dass das, was wir sagen und zeigen, uns zwar wesentlich ist, aber doch nur auf das verweist, was nicht sagbar, nicht zeigbar bleibt. Das kann schmerzlich sein aber auch wunderschön. Und in den Momenten, in denen ich finde, meine Filme glücken, spür ich beides.
Natürlich kann auch Literatur genau das, Tanz, Musik. Ich aber fand es im Film. Und ganz buchstäblich ist Film für mich – digital oder analog – eine Kunst des Negativen. Eine Kunst, die seine Magie darin entfaltet, ein Abdruck dessen zu sein, was nicht (mehr) da ist. Eine Kunst der Schatten. Und eine Kunst der Relationen. Vieles, vielleicht sogar das Allerwesentlichste, entsteht zwischen den Bildern, in diesem Raum, der weder das eine noch das andere ist.

Und genau in diesem Zwischenraum haben wir die Möglichkeit inmitten all unserer Beschränkung über uns selbst und unsere Codes hinaus zu weisen. Allerdings verlangt das, sich Zeit zu nehmen und Geduld zu haben. Denn wir werden diesen Raum jenseits der Codes nicht fixieren können, wir können ihn nur umreißen in einer fragilen, flüchtigen Geste.
Heinz Emigholz, bei dem ich studiert habe, sagte einmal zu uns „Langeweile ist ein sehr relativer Begriff.“ Emigholz’ Filme umreißen diese „lange Weile“ von seinen frühen Flickerfilmen, seinen experimentellen Spielfilmen bis zu seinen jetzigen in langen, oft statischen Einstellungen gedrehten Architekturfilmen. Meditativ nenne ich sie alle. Das ist kein Wohlfühlbegriff, sie alle fordern radikal meine Aufmerksamkeit. Aber dann ist es so, als würde ich endlich ankommen in ihnen, bei mir und in der Welt.

Film, wie ich ihn meine, ist eine besondere Art, die Welt zu betrachten. Eine, ihr mit Aufmerksamkeit zu begegnen und in Kontakt zu treten. Denn dem technischen Apparat sei Dank, erlaubt diese Kunst, den eigenen beschränkten Blick mit einem hohen Maß an Offenheit weiter zu reichen an jemand anderen, der vielleicht etwas ganz anderes sehen wird in diesem Dazwischen meiner Bilder und Codes.

Die Diagonale-Webnotizen wurden von 2010 bis 2015 von der BAWAG P.S.K. unterstützt.

Der Standard ist Medienpartner der Diagonale-Webnotizen.
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