Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

Diagonale Webnotiz 4/2014

von Clara Stern

 

Die Filmemacherin Clara Stern lebt in Wien. Ihr Kurzdokumentarfilm Im Jahre Schnee wird auf der Diagonale 2014 gezeigt.

Dahinter, dazwischen, daneben

„Nachwuchswege im Österreichischen Film“. Ich bin noch mitten am Weg und das Spannende an dem Weg ist, dass ich keine Ahnung habe, wie weit das Ziel entfernt ist, ob es je eines geben wird, ob ich jemals irgendwo ankomme. Auch weil das Ziel so persönlich definiert werden muss und es heute bei mir anders aussieht, als noch vor zwei Jahren. Das heißt nicht, dass ich kein Ziel vor Augen habe, das heißt nicht, dass ich nicht weiß, was ich will. Es heißt nur, dass es nie langweilig wird, weil umso mehr ich über Film lerne, desto mehr lerne ich über mein Ziel.

So, genug über Ziele, es geht um Wege. Mein Weg ist kein linearer Weg: Nach der Matura Doppelstudium Publizistik und Theater-, Film- und Medienwissenschaften (TFM), nach zwei Jahren trennen sich die Wege von Publizistik und mir, ich gehe mit TFM weiter, mache zusätzlich Regiehospitanzen und -assistenzen am Theater, dann die Aufnahmeprüfung an der Filmakademie Wien für Drehbuch, werde genommen, dann nach zwei Jahren noch einmal Aufnahmeprüfung für Regie. Und da bin ich jetzt in meinem fünften Jahr, kurz vorm Bachelor in beiden Fächern und die Diplomarbeit in TFM liegt in Grundentwürfen auf dem Schreibtisch. Seit längerem.

Das hätte ich jetzt auch in einem tabellarischen Lebenslauf auflisten können. Aber was mich dazu gebracht hat, Film als mein primäres Erzählmedium zu erkennen und damit arbeiten zu wollen, das liest sich nicht im Ausbildungsweg, das steckt irgendwo dahinter, dazwischen und daneben.

Ich habe 2007 ein halbes Jahr Europäischen Freiwilligendienst in Schweden gemacht und unter anderem habe ich dort mit einer Schulklasse voll Achtjähriger nordische Sagen verfilmt. Und dann steht da ein Bub vor mir und sagt, er versteht den Sinn nicht, auch wenn er einen Gott spielt, warum soll er schreien, wenn er jetzt überhaupt keine Angst hat. Und egal was ich an Theorie gelernt und gelesen hatte, ich musste mir selbst eine Antwort finden, mir selbst erklären, warum um Gottes Willen wir eine Geschichte nachspielen, die man genauso gut lesen könnte. Was ist der Mehrwert, falls es einen gibt? Und wie setzt man die Geschichte um, damit dieser Mehrwert entsteht? Warum soll ein Mensch, der keine Angst hat, schreien? Warum sollte sich das jemand anschauen? Es hat mich gezwungen mich genauer mit Schauspieltheorien und -methoden auseinanderzusetzen. Und mit dem Thema der Glaubwürdigkeit und des Erzählstils.

Über das Medienzentrum der Stadt Wien habe ich vor Jahren die Moderation der Sendung „Filmecke“ für Okto gemacht. Für mich waren die Interviews und Gespräche mit den jungen Filmemacher/innen wichtig. In der Vorbereitung habe ich darauf geachtet, nicht die Schwächen und Stärken des Films zu finden, sondern den Film so zu analysieren, dass es zu einer spannenden Auseinandersetzung im Interview kommen kann. Das hat mir gezeigt, wie vielschichtig Film ist.

Für mich ist das Wichtigste, im Prozess meiner ganz persönlichen Ausbildung Menschen zu finden, mit denen ich diskutieren kann. Über Geschmack, über Wahrnehmungen, Bilder, Meinungen, Themen, Stile. Nachwuchswege, das sind vor allem Menschen, mit denen ich gelebt, studiert, gearbeitet habe. Menschen, die mich inspiriert, beeindruckt, provoziert, angespornt haben. Oder aber mir gezeigt haben, was ich nicht will.
Und weil für mich Diskussionen über eigene und fremde Filme so wichtig sind, sind für den Nachwuchsweg Festivals von großer Bedeutung. Im Kino sitzen und die Reaktionen des Publikums spüren und nach dem Film darüber sprechen. Das ist für mich das, was mich motiviert weiter zu machen. Egal, ob das Feedback positiv oder negativ war.

Wenn man an der Filmakademie an einem Film arbeitet, bespricht man den Film im Zweiergespräch mit dem/der Professor/in jeder Studienrichtung. Dadurch kann es passieren, zwei völlig gegenläufige Meinungen zu ein und demselben Film zu bekommen.
Anfangs hat mich das verwirrt, obwohl ja gerade bei Film klar ist, dass jeder Mensch einen Film anders wahrnimmt, ihn mit eigener Lebenserfahrung auffüllt. Mittlerweile hab ich gelernt, dass genau das der spannende Punkt ist: Man entscheidet sich ja nicht für oder gegen eine Meinung, sondern es sind Hinweise, Anregungen, Sichtweisen. Und das Herausfordernde ist, wie ich diese Meinungen annehme, mit meiner eigenen verknüpfe und vielleicht genau dadurch ermutigt werde, in eine andere Richtung zu denken, als ich das vorher alleine getan habe. Auch falls ich alles später wieder verwerfe, bestärkt es mich darin zu wissen, was ich will.
Das war ein wichtiger Lernprozess für mich, für den ich mir bei meinem Kurzdokumentarfilm Im Jahre Schnee, der heuer auf der Diagonale läuft, extra lange Zeit genommen habe. Ich habe mir die Zeit genommen, Ratschläge zu befolgen und den unterschiedlichen Versionen und Prozessen nachzugehen, die diese Ratschläge mit sich bringen. Ich habe beispielsweise lange mit den unterschiedlichsten Formen von Off-Texten experimentiert. Als ich mich schließlich gegen Off-Text entschieden habe, wusste ich, dass das genau die Version des Films ist, die sich für mich richtig anfühlt.

Was ich auf der Filmakademie auch lerne, ist Handwerk. Umgangsmöglichkeiten und Lösungsvorschläge für „Problem“stellungen. Und genau das brauche ich. Neben all dem Diskutieren, Nachdenken und Ausprobieren. Ich bin so ein Mensch, ich war zum Beispiel erst bereit zur Führerscheinprüfung anzutreten, als ich das Gefühl hatte, jede wahrscheinliche Verkehrssituation zumindest einmal geübt zu haben. Ich brauche Handwerk, um frei zu sein, um spontan handeln und klar entscheiden zu können.

Das ist mein sehr persönlicher Nachwuchsweg, über den ich geschrieben habe, weil ich nicht vollständig auflisten kann, was für Ausbildungen und Möglichkeiten es gibt. Und gerade Film als Beruf verlangt meiner Meinung nach auch einen sehr persönlichen Zugang und Weg.

Die Diagonale-Webnotizen wurden von 2010 bis 2015 von der BAWAG P.S.K. unterstützt.

Der Standard ist Medienpartner der Diagonale-Webnotizen.
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