Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

Diagonale Webnotiz 10/2013

von Katharina Mückstein

 

Die Filmemacherin Katharina Mückstein lebt und arbeitet in Wien. Ihr Debütfilm TALEA wurde bereits mehrfach ausgezeichnt, u.a. mit dem Diagonale-Preis für das beste Kostumbild 2013.

Vor der ersten Zeile

Für diese Webnotiz gab es den Vorschlag, etwas über meine Arbeitsweise zu schreiben. Ich finde das witzig, stehe ich doch noch so am Anfang, dass ich nicht auf eine Menge von Filmen zurückblicken und Revue passieren lassen kann. Außerdem stecken meine Arbeit und ich in einer Transformationsphase. Ich bin jetzt seit zehn Monaten mit meinem Debütfilm TALEA unterwegs. Dieser erste Film hat meine Arbeitsrealität stark verändert. Vieles, was davor schwer erreichbar schien, ist nun in greifbare Nähe gerückt. Die Problemstellungen werden neue. Die vergangenen eineinhalb Jahre waren geprägt von lauter „das machen wir zum ersten Mal“-Erlebnissen, die mich und meine Kompliz/innen noch mehr zusammengeschweißt haben. Ganz neue Perspektiven, wie das Leben als Filmemacherin aussehen könnte. Ich glaube, ein zweiter Film wird ganz anders sein, als ein erster und ein dritter.

Die Konstanten sind eher innere. Und das Spezifische einer Arbeitsweise muss wohl den Prozess beschreiben, bevor man anfängt, einen Film zu machen. Denn sobald es ums Produzieren geht, müssen wir ja alle ungefähr denselben Mustern folgen, uns den Umständen anpassen, die unsere Arbeitsweise bestimmen: Geld und Zeit.

Was passiert also im Hause Mückstein, bevor eine erste Drehbuchzeile geschrieben wird? Irgendwie habe ich zuallererst immer die Obsession mit einem Thema. Das Thema ist etwas, das mir über einen längeren Zeitraum hinweg überall begegnet. Ich erkenne es in Gesichtern und Körperhaltungen fremder Menschen in der U-Bahn, ich entdecke es auf dem Titelblatt jeder Zeitung im Zeitschriftenladen, ich kann aus jeder Geschichte meiner Freunde und Freundinnen nur es heraushören. Das Thema ist meist eines, das ich im extrem Privaten genauso sehe, wie in ganz öffentlichen Zusammenhängen. Nur: benennen lässt es sich meist nicht so leicht.

Arbeitszimmer_Kathararina_Mueckstein

© Katharina Mückstein

In diesen Phasen entwickelt sich eine Hassliebe zwischen mir und dem Thema. Ich will es festmachen – da höre ich schon in Gedanken die Dramaturgin fragen: „Was ist denn eigentlich das emotionale Thema?“ – ein Name muss her, denn solange es nur so eine Obsession ist, kann man kaum jemandem davon erzählen, dass aus ihm nun ein Film werden soll. Es will mich verrückt machen: Vielschichtig und voller Graustufen, wie es ist, glaube ich immer wieder, es nun endlich erfasst zu haben, da flutscht es mir wie ein glitschiger Fisch aus der Hand.

Um weiter zu kommen, muss jeweils eine Prise Pragmatismus und Vertrauen her. Ich muss mich damit abfinden, dass ich mich auf einen thematischen Aspekt konzentrieren sollte. Zugleich muss ich darauf vertrauen, dass ich so viele Spielarten des Themas gesehen habe, dass ich mich genügend angereichert habe und so die vielen Entscheidungen, die ich bis zur Fertigstellung des Films in ferner Zukunft treffen muss, immer thematisch eingefärbt und nicht beliebig sein werden. Meistens bin ich in dieser Phase grantig, weil ich nicht ganz klar sehen kann, als ob ich meine Brille verlegt hätte.

Da hilft ein Blick nach innen und einer nach außen. Was hat das alles nun genau mit mir zu tun und was mit allen anderen? Ich bin die Tochter einer Therapeutin. Ich kenne unzählige, anonyme Geschichten von Leuten und ihren Leben. Die komplizierten Dinge, die zwischen den Zeilen und zwischen den Worten passieren, haben wir zuhause immer in ein imaginäres Regal hineinsortiert. Wie fleißige Lagerarbeiterinnen. Dabei ist die Logistik nicht zu unterschätzen. Was hat womit zu tun, was ist ganz persönlich, was gehört auf die strukturelle Ebene und was ist der Gewebsstoff dazwischen? Das Analysieren der Zusammenhänge, eine Art Strukturierungsarbeit ist die Voraussetzung dafür, dass sich bald aus dem Thema eine Geschichte formieren kann.

Ich beginne also, im Kopf Geschichten zu erfinden. Beim Geschichten Erfinden ist immer auch der Trennungsschmerz dabei, sich jetzt verabschieden zu müssen vom ganzen Ausmaß der Komplexität. Stellen wir uns das Thema und seine Analyse wie einen grenzenlosen Pudding vor und den Film wie eine kleine Puddingform. Da passen eben nur 200ml hinein. Zur Entschädigung für den Abschied von der unendlichen Vielschichtigkeit beginnt aber jetzt die Phase der Komplizenschaft. Ich hasse es nämlich, alleine zu arbeiten. Sobald sich in Gedanken erste Bausteine von Geschichten formieren, erzähle ich sie meinen Vertrauten und teste ihre Reaktion. Ich erzähle die Geschichte jedes Mal anders und prüfe, was sie im Gegenüber auslöst. Außerdem wächst die Beziehung mit den Figuren, die immer lebendiger werden und sich stellvertretend für mich mit den Themenaspekten herumschlagen. Meine Rolle verändert sich und ich werde aktiver, schön langsam erlange ich Kontrolle über die Dinge. Wenn es einmal so weit ist, dann weiß ich, die erste Drehbuchzeile wird bald folgen.

Die Diagonale-Webnotizen wurden von 2010 bis 2015 von der BAWAG P.S.K. unterstützt.

Der Standard ist Medienpartner der Diagonale-Webnotizen.
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