Vor zwei Jahren begann mit freudigem Engagement die offizielle Diskussion zum österreichischen „feel bad cinema“. Filmkritisierende, Autorenschafter und so manch andere Kulturinteressenten meldeten sich international zu Wort. Nationale, sprich deutschsprachige, Wortmeldungen brauchten nicht lange, um auf solche Feststellungen zu reagieren. Manche Wortmeldungen waren durchaus in der Lage, ein großformatiges Bild zu entwerfen, was denn nun so „feel bad“ in der österreichischen Kinoproduktion sei. Die Thematik blieb sich relativ gleich, nur hier und da variierend: Gnadenloses verzweifeltes Selbstreflektieren, mit beiden Händen in den Untiefen der menschlichen Seele grabend, ein fiebriges Hervorzerren und Kratzen mit spitzen und möglichst verdreckten Fingernägeln von, ja, von was eigentlich?
Zuerst stellte sich mir die Frage weniger nach einem Kino, das angeblich ein schlechtes Gefühl hinterlässt, als jene, was genau als „schlechtes Gefühl“ definiert wurde. Eine Erklärung des „feel bad“, des sich Schlecht-Fühlens, schien aus kontinental westlicher Sicht nicht nötig.
Die englischsprachige Welt war sich einig:
In Österreich muss so einiges los sein im Nerven- und Gefühlskostüm. Schlechtes, natürlich. Ein Suhlen in emotionalen Befindlichkeiten und das ewig Düstere in allen Schattierungen. Sei es in der Liebe, im Hass, im Leben und im Tod: es muss ordentlich schwarz zugehen in der österreichischen Regisseursseele.
Aber wie und aus welchem Anlass fühlt man sich denn schlecht? Was wird da in anscheinender Übereinstimmung von wem als „schlecht“ festgenagelt? Japanische Kollegen zeigen sich begeistert über das, was sie im österreichischen Kino kennenlernen. Von großer emotionaler Sensibilität wird dann geschwärmt. Von der Zeichnung einer inneren Landschaft auf die große Kinoleinwand, die wortwörtliche Höhen und Tiefen treffsicher in Bilder und Töne umzuwandeln weiß. Wo viel Dunkelheit, da auch viel Licht, denn das eine schließt das andere nicht aus. Und große Verbitterung setzt immer das Kennen großer Freude voraus.
Was einen schalen Geschmack hinterlässt, muss immer noch jedem Zuschauer selbst überlassen sein, aber zuallererst ist dies angeblich einmal der finanzielle und sexuelle Notstand. Muss ich mich schlecht dabei (oder danach) fühlen, wenn ich einen Film mit dieser Thematik gesehen habe? Was ist mit dem Publikum, dass sich nach der Betrachtung von Familienidyllen, von Traumhaus, Traumjob, Traumbeziehung und auf den aktuellen Glück versprechenden westlichen Lebensentwurf zurecht gestutzt, erst so richtig schlecht fühlt? Wer legt fest, was ein schlechtes Gefühl zu sein hat? Alle Genres leben von Konflikten und von Spannungsbögen, sie werden von der Regie mal gekonnt, mal weniger gekonnt in Bilder und Töne gesetzt. Die Frage bleibt: Was soll das sein, bitte schön, ein Kino des „Sich-schlecht-Fühlens“?
Do schdimmd wos ned!
Leserkommentar zu Claudia Siefens “Fühlt euch gut – im ‘feel bad cinema’: Die subjektivste Ansichtssache! (Diagonale-Webnotizen 02/2009)
Falls es schon eine Debatte darüber gibt, bin ich nicht am laufenden, aber das Thema beschäftigt mich schon lange, dieser erstaunliche Kontrapunkt zum „feel good movie“ aus Österreich, der von der Kritik so lakonisch hingenommen wird. Dabei gibt es geniale Vorläufer in der Literatur.
Wie kein zweiter hat schon ein H. C. Artmann diesen seltsamen Hang des Österreichers zum Sentimentalen und Makabren in seinem Kultbuch von 1958 „med ana schwoazzn dintn“ getroffen.
Viele seiner Mundart-Formulierungen waren damals für uns geflügelte Worte, die in den Cafes zwischen uns herumschwirrten:
es woa nix! oda:
gemma koed is s ned!
nua ka schmoez ned how e xogt!
reis s ausse dei heazz dei bluadex
und haus s owe iwa r a bruknglanda!
waun s d amoe so weid bist
dann erscht schreib dei gedicht
und ned eea
nua ka schmoez ned how e xogt!
nua ka schmoez …
Es gibt keine bessere Anleitung zur Bekämpfung der Sentimentalität, als dieses „reis s ausse dei heazz dei bluadex“ (reiß dein blutendes Herz heraus) und „dann erst schreib dein gedicht“ – oder „mach deinen film“.
In „Blaubart 2“ spürt er das Makabre als Gegenpol im österreichischen Wesen auf:
doch heite bleibt heit
und do gibt s kan bardaun
a keazzn a frau und a messa!
en so ana xööschoft do is ma net z draun
do reit me a koischwoazza kefa
Dieses „ungute” Gefühl nenne ich heute „unguat”, in Erinnerung an H. C. Artmann, wenn ich beim Betrachten verschiedener Filme – von Ulrich Seidl bis Michael Haneke – über die Befindlichkeiten des Österreichers „unguate“ Menschen in „unguaten“ Szenen erlebe. Artmann hat das schon Ende der 1950er konstatiert:
do is wos unguaz
zwischn dia und mia.
ar messa kaun se do
ned so alanech
gaunz fon söwa rian!
Mit den theoretischen Äußerungen von Haneke gehe ich durchaus konform, nur praktiziert er – und manche seiner Adepten – in den Filmen oft genau das Gegenteil. Hat das vielleicht etwas mit Menschen-
verachtung zu tun? Darüber wäre zu diskutieren.
(P.S.: In Klagenfurt gibt es bereits einen Psychotherapeuten, der eine Filmtherapie betreibt, keineswegs mit „feel-good-movies“, eher mit schwieriger Kost)
Horst Dieter Sihler (Filmkritiker, Kinomacher, Lyriker)