Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Die Totenschmecker
Spielfilm, DE 1979, Farbe, 85 min., dOF
Diagonale 2022

Regie: Ernst Ritter von Theumer sen. aka Richard Jackson
Buch: Richard Jackson
Darsteller:innen: William Berger, Herb Andress, Hedwig Blum, Peter Jacob, Maria Beck u. a.
Kamera: Joe Stemmer
Musik: Joachim Ludwig

 

Eine extrem finstere Alpensaga, die keinen moralischen wie politisch korrekten Ansprüchen gerecht wird, erwartet jene Mutigen, die sich dieser irren 1970er-Jahre-Mischung aus Heimatfilm und Texas Texas Chain Saw Massacre hinzugeben gedenken: In Die Totenschmecker trügt die Idylle eines Bergbauernhofs. Regisseur Ernst Ritter von Theumer sen. führt mit dem Horrorstreifen den Topos des klassischen Heimatfilms im Dienste des Blutrauschs ad absurdum.

Die Idylle eines beschaulichen Bergbauernhofs trügt: Innerfamiliär brodeln die Konflikte rund um den störrischen Altbauern und dessen drei Söhne, von denen einer geistig beeinträchtigt ist und Frauen nachstellt. Die ohnehin schon angespannte Lage verschärft sich, als eine Gruppe Roma in der Nähe ihr Lager aufschlägt und der Geigenspieler Joschi mit Anna, der Jüngsten am Hof, anbandelt. Das „Zigeunergesindel“ ist den Einheimischen ein Dorn im Auge, und schon das erste Aufeinandertreffen setzt eine unaufhaltsame wie tödliche Gewaltspirale in Gang.
Eine extrem finstere wie garstige Alpensaga, die moralischen wie politisch korrekten Ansprüchen ganz und gar nicht gerecht wird, erwartet jene Mutigen, die sich dieser irren 1970er-Jahre-Mischung aus Heimatfilm und Texas Chain Saw Massacre hinzugeben gedenken. Ernst Ritter von Theumer sen., hier unter seinem internationalen Pseudonym Richard Jackson firmierend, realisiert mit Die Totenschmecker perverses Postkarten(un)glück, indem er die Vorzeichen der ansonsten friedvollen Heile-Welt-Unterhaltung einfach umdreht. Schon in den ersten Szenen zwischen den einzelnen Mitgliedern der Bauernfamilie wird klar, dass hier nichts mit rechten Dingen zugeht: Der Altbauer will nicht übergeben, weil er seine beiden ältesten Söhne, Felix und Kurt, für Taugenichtse hält, die sich wiederum auch untereinander nicht besonders grün sind. Der Jüngste, Franz, wird aufgrund seines Handicaps wie ein Stück Vieh im Stall eingesperrt und zeigt „natürlich keine Ansätze davon“, ein potenziell gefährlicher Sexualstraftäter zu sein, wie Kurt auf den aus dem Blauen geäußerten Verdacht eines Arbeitskollegen hin zu beschwichtigen versucht – wenngleich der Film diese Vermutung recht bald bestätigt.
Dazu kommen noch eine große Portion Xenophobie, Rassismus und Vorurteile gegenüber allem, „was der Bauer nicht kennt“. Und ja, der Film macht sich wenig Mühe, für das „Zigeunerleben“ abseits abgeschmackter Klischees – von der Klampfe am Lagerfeuer bis hin zum fidel fiedelnden schwarzgelockten Herzensbrecher – Bilder zu finden, um den Alltag des fahrenden Volkes adäquat zu beschreiben. Allerdings existiert dort eine Art natürlicher Zusammenhalt, der sich bei der nicht minder stereotyp gezeichneten Bauernfamilie erst aus dem Zwang heraus bildet, die eigenen Missetaten zu verschleiern. Um der Verfolgung durch die Polizei zu entgehen und der „Blutrache“ der Roma zuvorzukommen, ziehen der Vater und seine beiden Söhne mordend durchs Tal – rauschhaft gar, weil sie, einmal damit begonnen habend, nicht mehr aufhören können und zu immer brutaleren Methoden greifen. So wird der Topos des klassischen Heimatfilms, die Bewahrung und Verteidigung des Status quo gegenüber dem Modernen oder Fremden, auf reißerische wie anschauliche Weise unterlaufen.
Den Plot unterstreichen die nahezu traumwandlerisch agierenden Schauspieler, die Stars in zahllosen Italowestern aus anderen „Schulen“ waren, jedoch auch in Jacksons vorherigem Film Ich, die Nonne und die Schweinehunde (1972) gemeinsam vor der Kamera standen. Mindestens so kurios wie von Theumers mannigfaltige und wiederentdeckenswerte Filmografie, die ihn als Kameramann, Produzent und Regisseur an die Sets von Tierdokumentationen wie Frauengefängnisfilmen führte, ist auch die Verwertungsgeschichte des Irren vom Zombiehof, der, in der Nähe von Kitzbühel gedreht und zuerst unter dem Arbeitstitel Blutrausch geführt, als Die Totenschmecker erfolglos in den Kinos startete und zurückgezogen wurde. Unter dem Titel Das Tal der Gesetzlosen wurde der Film erneut veröffentlicht und zurückgezogen, schließlich kam er als Der Irre vom Zombiehof ins Kino, womit man nicht nur Horrorfans vor den Kopf stieß. Später lief er in leicht entschärfter Fassung als Das Mädchen vom Hof sogar im Fernsehen. Die Diagonale’22 bietet die Chance, den Film als 35mm-Projektion wieder im Kino zu sehen.
(Florian Widegger)

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