Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Room Without a View
Dokumentarfilm, AT/DE 2021, Farbe, 73 min., OmeU
Diagonale 2022

Regie, Buch: Roser Corella
Kamera: Roser Corella, Alfonso Moral
Schnitt: Ginés Olivares
Originalton: Florian Kläger
Musik: Paul Frick
Sounddesign: Gábor Ripli
Produzent:innen: Florian Kläger, Ana Catalá
Produktion: moving mountains films

 

Im Grundriss mit einkalkuliert: winzige, niedrige Kammern, vorgesehen für die sogenannten „Maids“. Eine Viertelmillion von ihnen verdingt sich im Libanon in privaten Haushalten, die Frauen stammen aus den Ländern Afrikas, aus Bangladesch und von den Philippinen. Eine moderne Form des Menschenhandels und Sklav*innentums, die Regisseurin Roser Corella multiperspektivisch untersucht. Ihr Ziel: sichtbar machen, was hinter den Vorhängen geschieht.

Die Qualität der ausländischen Hausmädchen sei mit der von Wassermelonen zu vergleichen, informiert eine anonyme männliche Stimme: Manchmal habe man Glück, manchmal nicht. Ein Kommentar, aus dem der Warencharakter spricht, mit welchem den vielen Frauen begegnet wird, die in den Libanon reisen, um sich in fremden Haushalten zu verdingen. Täglich sind es etwa sechshundert aus Äthiopien, die mit dem Flugzeug ins Land kommen; insgesamt arbeiten rund 250.000 „maids“ aus afrikanischen Staaten, aber auch aus Bangladesch und von den Philippinen im Libanon. Statistisch sterben wöchentlich zwei von ihnen, vor allem durch Selbstmord. Roser Corella beleuchtet in ihrem Film das System hinter den Zahlen und versucht einen multiperspektivischen Zugang: Sie spricht mit Frauen, die als Hausmädchen arbeiten oder gearbeitet haben, trägt Aussagen aus den Agenturen zusammen, die als Vermittlerinnen fungieren, und betrachtet nicht zuletzt auch das dysfunktionale Familiensystem der libanesischen Gesellschaft selbst. In ihm liegt ein Großteil der alltäglichen Belastung auf den Frauen, die für eine perfekte Haushaltsführung und die Kinderbetreuung zuständig sind, obwohl sie in den meisten Fällen auch noch einer eigenen Erwerbstätigkeit nachgehen. Das Business mit den „maids“, für die in vielen libanesischen Wohnungen winzige Kämmerlein im Grundriss vorgesehen sind, scheint auf den ersten Blick Abhilfe zu schaffen.
Realiter ist ein moderner Menschenhandel entstanden, geschützt durch das intransparente Kafala-System, das missbrauchsanfällige Abhängigkeitsverhältnisse stützt. So werden den Frauen nach Ankunft im Libanon alle Papiere abgenommen und von den zukünftigen Arbeitgeber*innen versteckt. Der Bewegungsfreiraum außerhalb der Wohnung ist eingeschränkt, der Kontakt zur Heimat häufig unterbunden, die Bezahlung nicht garantiert. Corella illustriert jene Form der Gefangenschaft durch Standbilder von mit Vorhängen verkleideten Gebäuden, in die kein Lichtstrahl dringt. Dabei hatte das Versprechen in den Herkunftsländern der Frauen noch ganz anders ausgesehen. Die Möglichkeit, in kurzer Zeit sehr viel Geld zu verdienen, macht die kleine Republik im Mittleren Osten zum Sehnsuchtsort. Aufnahmen aus Bangladesch zeigen Dutzende junger Frauen, die fleißig Arabisch studieren und das korrekte Bedienen einer Spülmaschine erlernen. In Beirut bereitet man sich indes auf einen Protestmarsch vor – allem Übel zum Trotz ist es einigen „domestic workers“ gelungen, sich politisch zu organisieren. Room Without a View porträtiert das Spannungsfeld gleichwohl nüchtern als auch empathisch. Und schafft damit Bewusstsein für eine menschenunwürdige Praktik, die sich in aller Stille etablieren konnte.
(Katalogtext, cw)

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