Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Die Untoten von Neuberg
Dokumentarfilm, AT 2018, Farbe, 57 min.
Diagonale 2018

Regie, Schnitt: Ulrich A. Reiterer
Kamera: Ulrich A. Reiterer Stephan Bergmann Fabian Czernovsky Nora Jacobs Julian Stampfer
Weitere Credits: Interviews: Claus Philipp Stephan Bergmann Super8-Kamera: Kelly Copper Pavol Liska

 

Nach zwei Jahren Vorbereitungszeit und 28 Drehtagen im Rahmen des „steirischen herbst“ 2017 ermöglicht die Diagonale erste Einblicke in ein eigentlich unmögliches Projekt: die filmische Adaption von Elfriede Jelineks monumentalem Gespensterroman „Die Kinder der Toten“, gedreht mit Laiendarsteller/innen in obersteirischen Kindheitsorten der Nobelpreisträgerin, gebannt auf 666 Rollen Super-8-Film. Ergänzend zu einem Making- of von Ulrich A. Reiterer und zum ersten Videointerview mit Elfriede Jelinek seit der Verleihung des Literaturnobelpreises 2004 zeigt die Diagonale ab 9. März eine Ausstellung mit Setfotos von Ditz Fejer im Feinkost Mild (siehe S. 4). Vom Status quo des Filmprojekts berichten Involvierte zudem im Rahmen von „Diagonale im Dialog“.

Will man Die Kinder der Toten als Film- und Performanceprojekt oder, wie Journalist/innen schrieben, als „soziale Skulptur“ auf ein Bild kondensieren, dann wäre es vielleicht dieses hier: ein ausrangierter Eisenbahnwagon im Niemandsland hinter dem Veranstaltungszentrum Mürzer Oberland in Kapellen bei Neuberg. Darin Menschen, die sich alle 15 Minuten im Rahmen einer 144-stündigen Dauerlesung von „Die Kinder der Toten“ abwechselten: „Tosende Stille“ hieß diese von Andreas Pronegg und Katarína Csányiová quasi neben die Schiene gesetzte Konfrontation mit Jelineks Sprachkomposition.
Und daneben: eine brennende Kinoleinwand, aus der sich schemenhaft „Untote“ den Weg hinaus in die Nacht bahnen. Anders als in Jelineks Roman kommen sie in der filmischen Adaption des Nature Theater of Oklahoma nicht aus dem ausgehöhlten Erdreich, sondern aus (Super8-)Filmen, angesichts derer die Menschen verstorbene Angehörige und eine mörderische Vergangenheit beweinen.
Viele, die dieser „Auferstehung der Toten“ beim zweiten von drei „großen Drehs“ in und rund um Neuberg beiwohnten, hatten naturgemäß keine Ahnung, was beim großen „Crash“ eine Woche davor passiert war bzw. wie die „große Parade“ der Untoten quer durch Kapellen aussehen würde. (Dass sie ausgerechnet in der Nacht vor der Nationalratswahl angesetzt war, war ein ungeplanter Zufall.)
Information war also ein wesentlicher Bestandteil der Dramaturgie für Die Kinder der Toten: Information über ein Buch, das kaum jemand kannte; Information über Elfriede Jelinek und warum sie ihr Meisterwerk ausgerechnet in Neuberg platzierte, Information über die Geschichte des Super8-Films, über Wesen und Unwesen von Dreharbeiten usw.
Eine wesentliche Aufgabe erfüllte vor diesem Hintergrund der Filmemacher und Dokumentarist Ulrich A. Reiterer. Im Auftrag des „steirischen herbst“ sollte er ursprünglich kurze Clips und Interviews zum jeweiligen Stand des Projekts erstellen. Sehr schnell wuchs sich diese Tätigkeit aber aus zu mehreren Stunden über die „Untoten von Neuberg“, aus denen Reiterer nun also für die Diagonale ein erstes Making of kompiliert hat. Ebenfalls ein in dieser Ausführlichkeit nicht vorhersehbares Dokument, das er mit Veronica Kaup-Hasler und Claus Philipp gestaltet hat: Die Steiermark hasse ich am allerwenigsten, das erste Videointerview mit Elfriede Jelinek seit der Verleihung des Literaturnobelpreises 2004.
Wer sich einmal auf Die Kinder der Toten eingelassen hat, kommt von ihnen so schnell nicht wieder los. Diese Erfahrung machte auch der Fotograf Ditz Fejer, der ursprünglich für das „herbst“-Magazin „Theorie zur Praxis“ einige Porträtaufnahmen des Nature Theater in Neuberg machen sollte, in weiterer Folge eine Hauptrolle im Film übernahm und schließlich als Setfotograf eine umfassende Dokumentation ablieferte. Einige seiner Fotos sind während der Diagonale im Grazer Café Mild ausgestellt.
Er selbst schreibt anlässlich dieser Präsentation: „Die befleckten Kühe, die durch die Nebelwand kamen, über einen Monat lang und mit Hakenkreuzen vor der Haustür. / Im Nebel und im Schnee, im Regen. Die Palatschinken-Fratzen, die ständig und überall im nervösen Dauerlicht vor uralter analoger Technologie inmitten des Gesanges einer sich immer wieder wiederholenden Mahnung auftraten. / Ein verkehrtes Auto kam zur Explosion. / GOTT sei Dank war nicht Winter, wir wären alle unter der Lawine zum Stillsein gezwungen worden. / Hier gibt es nur zwei Jahreszeiten, Winter und Kalt. / Ich erschlug meinen Vater den Förster, missbrauchte meinen Bruder den Jäger im Gefecht, schoss ihm das Gehirn aus dem Schädel und zerrte meinen Vater in sein Grab. / Dann schaufelte ich es zu. / Und der Tag danach.“
(Katalogtext, Claus Philipp)

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