Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Davos
Dokumentarfilm, AT 2020, Farbe, 99 min., 09.06. OmdU/13.06. OmeU
Diagonale 2021

Regie: Daniel Hoesl, Julia Niemann
Buch: Julia Niemann
Kamera: Andi Widmer
Schnitt: Gerhard Daurer
Originalton: Eva Hausberger, Andi Pils, Reto Stamm
Sounddesign: Gerhard Daurer
Weitere Credits: Tonmischung: Andi Pils Farbkorrektur: Andi Winter Herstellungsleitung: Georg Aschauer
Produzent:innen: Georg Aschauer, Daniel Hoesl, Julia Niemann
Produktion: European Film Conspiracy

 

Wo Thomas Mann einst seinen Roman „Der Zauberberg“ spielen ließ, treffen sich alljährlich die Wichtigsten aus Wirtschaft und Politik. Denn in Davos sind nicht nur die Kranken zu Hause, sondern auch das Weltwirtschaftsforum. Daniel Hoesl und Julia Niemann haben sich die Kleinstadt im Kanton Graubünden besehen und finden eine Kommunikationskultur im Modus Einbahnstraße vor. Es stellt sich heraus: Gerade jene, die am inbrünstigsten den Dialog preisen, schweigen am lautesten.

Das Kälbchen kommt tot auf die Welt. „Bist du schon gestorben?“, fragt die Bäuerin und kennt doch bereits die Antwort. Gewissermaßen ist das Tier nun auch ein „Geist von Davos“. Aber wenn hier, in Daniel Hoesls und Julia Niemanns Film, von einem solchen die Rede ist, ist etwas anderes gemeint. Denn der wahre „Geist von Davos“, heraufbeschworen von den Veranstalter/innen und Gästen des berühmten World Economic Forum, meint vor allem ein elitäres Zusammenkommen vor traumhafter Kulisse. 1.500 Meter über dem Meeresspiegel, dort, wo Thomas Mann seinen 1924 erschienenen Roman „Der Zauberberg“ ansiedelte, trifft sich alljährlich eine Schar Einflussreicher: Regierende aller Herren Länder, Wirtschaftsfrauen und -männer, dieses Mal ist sogar Greta Thunberg dabei.
Doch das Regieduo interessiert sich nicht ausschließlich für das Treiben auf dem Kongress, dessen Teilnehmer/innen sich die Losung „Committed to improving the state of the world“ auf die Fahnen geschrieben haben. In und um Davos gibt es mehr zu sehen. Eine Gruppe Angler beispielsweise, die eher naserümpfend auf die Städter/innen blicken. Niemals, behauptet einer von ihnen, würde er eine Forelle aus dem See verspeisen, in welchen die Abwässer der Menschen aus Davos geflossen seien. Der Fisch sei quasi kontaminiert. Aber auch unter den Davoser/innen selbst gärt ein „gewisses ungutes Gefühl“. So jedenfalls formuliert es ein Diskutant während einer Volksabstimmung, die entscheiden soll, ob sich die Gemeinde das WEF weiterhin leisten will oder nicht.
Davos zeigt ein Nebeneinander, das von enormer Unterschiedlichkeit geprägt ist. So sehr, dass es beinahe grotesk wirkt. Einerseits die Einwohner/innen, die sich den Härten des alltäglichen Lebens stellen, zur Davoser Viehschau pilgern oder darüber rappen, was es bedeutet, Migrant/in in der Schweiz zu sein. Andererseits Leute wie Klaus Schwab (der „wahrscheinlich bestvernetzte Mensch der Welt“ und Gründer des WEF), Politiker/innen aus der Schweiz und Großbritannien, die auf Davoser Pisten zusammenfinden, um „Skilift-Diplomatie“ zu betreiben, oder eine US-amerikanische Wirtschaftsvertreterin, die den Kapitalismus ohne mit der Wimper zu zucken als Geste der Philanthropie preist.
Daniel Hoesls und Julia Niemanns Beobachtungen der herausgeputzten Kleinstadtoberflächen legen eine Kommunikationskultur im Modus Einbahnstraße offen: Der gerade im Rahmen des Wirtschaftsforums als so wichtig propagierte Dialog bleibt aus – lieber bleiben alle unter sich. Davos ist Beweis dafür, wie groß eine Entfernung trotz räumlicher Nähe sein kann. Vielleicht macht es Greta Thunberg da ganz richtig, über die man im Film erfährt, sie schlafe hoch oben in den Bergen allein in einem Zelt. Auch das möglicherweise eine Reaktion auf den „Geist von Davos“.
(Katalogtext, cw)

Dieser Film ist auch Teil der Diagonale-Kollektion im Flimmit-Abonnement. Mehr unter diagonale.at/canale-diagonale.

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