Portrait from Life
Spielfilm, GB 1948, Schwarzweiß, 90 min., eOF
Diagonale 2021
Regie: Terence Fisher
Buch: Frank Harvey Jr., Muriel und Sydney Box, nach einem Stoff von David Evans
Darsteller:innen: Mai Zetterling, Guy Rolfe, Herbert Lom, Robert Beatty, Arnold Marlé
Kamera: Jack Asher
Schnitt: Vladimir Sagovsky
Originalton: B.C. Sewell
Musik: Benjamin Frankel
Kostüm: Joan Ellacott
Produzent:innen: Antony Darnborough, J. Arthur Rank
Produktion: Gainsborough Pictures (GB)
Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entdeckt ein jüdischer Emigrant aus Österreich in einer Londoner Galerie ein Gemälde, das ein Mädchen zeigt, das genau wie seine vermisste Tochter aussieht. Major Lawrence wird damit beauftragt, sie zu finden, was leichter gesagt ist als getan. Schlussendlich findet er sie in einem deutschen Flüchtlingslager, muss jedoch feststellen, dass sie an Amnesie leidet. Ein frühes Kleinod des Regisseurs Terence Fisher, später berühmt für seine Hammer-Horror-Filme.
„Unglaublich!“ Professor Menzel traut seinen
Augen kaum, aber das Bildnis einer jungen Frau in
der Royal Academy in London zeigt seine Tochter: nur
dass diese nicht Hildegard heißt, wie der Titel jenes
Porträts behauptet, sondern Lidia. Major Lawrence,
der kurz aus Deutschland zurück auf Heimaturlaub ist,
bietet an, dem alten Herrn bei der Suche nach seiner
Tochter, von der er bei Ausbruch des Kriegs getrennt
wurde, zu helfen. Gemeinsam stöbern sie den Künstler
auf, einen Maler namens Reid. Er ist Alkoholiker,
sturzbetrunken wie immer und stirbt, noch bevor er
damit herausrücken kann, in welchem Flüchtlingslager
er dem Mädchen begegnet war.
So beginnt für den Major eine schier aussichtslose
Odyssee. Nachdem selbst eine Anfrage beim
Suchdienst des Roten Kreuzes ohne Erfolg geblieben
ist, klappert er die DP-Lager in der britischen Besatzungszone
ab. Dutzende von Hildegards werden
befragt. In Camp 31 bei Braunschweig wird er schließlich
fündig. Allerdings lebt die schüchterne junge Frau
mit ihren vermeintlichen Eltern: Hendlmann, ihr Vater,
behauptet, Tscheche und fünf Jahre in Ravensbrück
gewesen zu sein – mit der Enthüllung seiner wahren
Identität wird das Flüchtlingsdrama endgültig zum
Kriminalfilm.
Portrait from Life, eine der ersten Regiearbeiten
des späteren Hammer-Horror-Großmeisters Terence
Fisher, gilt als vergessener Klassiker des britischen
Nachkriegsfilms. Displaced Persons waren in den
späteren 1940er-Jahren ein gängiger Topos, doch
Hildegards/Lidias – gleichermaßen von Freud’scher
Theorie wie von Stilelementen des Film noir durchdrungene
– Geschichte ist aus mehreren Gründen
außergewöhnlich. Obwohl die zeitgenössischen
Medien breit über die Öffnung der Vernichtungslager
berichteten, war „Jewishness“ kaum ein Thema: Man
sprach generell vom „Leid Europas“, Angehörige
aller Nationen und Religionen waren Opfer der Nazis.
Hildegard/Lidia respektive Professor Menzel werden,
eine rare Ausnahme von der Regel, als österreichische
Juden charakterisiert. Gleichwie klammert der Film
die traumatischen Kriegserlebnisse der jungen Frau
völlig aus, lediglich auf ihrem Porträt ist – als Chiffre
für Auschwitz und den Holocaust – die auf ihrem
Unterarm eintätowierte Nummer zu sehen.
Für die Dauer der Dreharbeiten wurde ein aufgelassenes
Camp der britischen Armee, das südlich
von Fawley in der Grafschaft Hampshire lag,
zum Flüchtlingslager umfunktioniert. Umso mehr
Wert auf Authentizität legte man bei der Besetzung.
Abgesehen von dem aus Prag gebürtigen Herbert
Lom (Hendlmann) wurden auch etliche Nebenrollen
mit deutschen und (alt-)österreichischen Emigrant/innen besetzt: Arnold Marlé, Sybille Binder, Gerard
Heinz, Philo Hauser, Betty Lynne, Nelly Arno, Hugo
Schuster, Eric Pohlmann, um nur die wichtigeren
zu nennen. Entsprechend herrschte im Lager einige
Sprachverwirrung, häufig wechseln Dialoge vom
Englischen ins Deutsche und wieder zurück. „Das ist
etwas, das wir nie wieder sehen werden“, meint einer
der Offiziere mit Blick auf die Flüchtlinge einmal,
„ganz Europa unter einem Dach.“
(Katalogtext, Michael Omasta, Brigitte Mayr)