Che bella è la vita
Innovatives Kino, AT 1997, 6 min., dOF
Diagonale 2022
Regie: Rainer Frimmel
Das Landleben und der Rausch. Melancholie und Gesellschaft. Der Treibstoff dafür: Alkohol. Ulrich Seidls frühe Provinzposse Der Ball ist erstmals bei der Diagonale zu sehen und trifft auf Florian Pochlatkos südösterreichischen Teenage-Dirtbag-Kurzspielfilm Erdbeerland. Zum Auftakt ein früher, kaum gezeigter Film von Rainer Frimmel, dessen Titel die gleichzeitige Tragik, Komik, Wahrhaftigkeit und Sehnsucht der drei Filme beschreibt: Che bella è la vita. Eine Einladung zu einer Sentimental Journey.
„Che bella è la vita“ – Souvenirbilder aus Tirol, darüber schimpft ein angetrunkener Hiesiger über die Bundeshauptstadt. Rainer Frimmel montiert gefundene Bilder, die mittlerweile mit Nostalgie behaftet sind und von der Sehnsucht nach einer Welt erzählen, die es so nie gab, noch nicht einmal im Rausch. Ein kurzer gewitzter (Anti-)Heimatfilm als Auftakt zur Landpartie.
Auch in Florian Pochlatkos Erdbeerland träumt so mancher vom Ausbruch aus der österreichischen Provinz: „,Bist a Schwuchtel, Oida?‘, bellt ein Teenager in tiefsteirischem Dialekt und offeriert einen Joint. Die Kulisse ist trist und in sich perfekt: ein verfallenes Haus im südösterreichischen Nirgendwo. Sehnsuchtsort pubertärer Träume. Zwischen Schinder-Turnunterrichtsstunden, Alltag und schmachtenden Unsicherheiten im Umgang mit dem anderen Geschlecht fungiert der Nicht-Ort als ureigenes Refugium einer Clique. Hier sind die Buben – die weniger hollywoodkompatiblen, halbstarken Erben James Deans – unter sich. Hier werden hormonverunsicherte Körper und Geister mit Bong und Gras-Zigaretten bearbeitet.“ Als Erdbeerland 2012 erschien, wurde Florian Pochlatkos Abschlussfilm an der Wiener Filmakademie euphorisch gefeiert (Diagonale-Preis Bester Kurzspielfilm, Österreichischer Filmpreis 2014 etc.). Die Kamera saugt den Qualm und den Hormonsud der Jugendlichen in vollen Zügen auf. Erdbeerland erzählt vom Dilemma des Teenagerdaseins: Nichts geht, und wenn doch, dann irgendwie, irgendwo, irgendwann. Wie ein grandioser Zufall ertönt Nenas gleichnamiger NDW-Hit dann tatsächlich im Filmfinale auf einer Party, während sich frisch Gefundene knutschend im Lamourhatscher üben. Wenn der Rausch um sich greift, wirken in der österreichischen Provinz allzu oft die universalen Superhits der Elterngeneration identitätsstiftend. Das ist auch in Ulrich Seidls exakt dreißig Jahre zuvor an der Wiener Filmakademie gedrehten „Provinzposse“ (Stefan Grissemann) Der Ball so: „Gonna take a sentimental journey. Gonna set my heart at ease. Gonna make a sentimental journey. To renew old memories“, singt Doris Day. Ulrich Seidl lässt den Jazzstandard in Der Ball immer wieder erklingen, denn Doris Day weiß, was seine Interviewpartner*innen (die Seidl schon damals in seinen später berühmten Tableaus inszenierte) noch nicht zugeben wollen, wenn sie über den alljährlich stattfindenden Horner Schulball sprechen.
Zu sehr kaprizieren sich die honorigen Herrschaften auf ihre gesellschaftlichen Funktionen als Bürgermeister, Schularzt, Elternvereinsobmann oder Professor. Standes- und abgrenzungsbewusst stellen sie sich mit Titel vor, um im etwas hatscherten „Schönsprech“ die Wichtigkeit des gesellschaftlichen Ereignisses zu betonen; wichtig für das politische und wirtschaftliche Leben in der niederösterreichischen Kleinstadt, versteht sich. In Wahrheit, und das eint die Vertreter des öffentlichen Lebens und die Schüler*innen in ihrer Vorfreude und euphorischen Erwartungshaltung, ist der Ball eine tief emotionale Angelegenheit. Um die entsprechende Fallhöhe bieten zu können, will die Ballnacht schließlich gut vorbereitet sein. Vogerltanz statt Etikette.
(Peter Schernhuber)