Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Aufzeichnungen aus der Unterwelt
Dokumentarfilm, AT 2020, Farbe+SW, 115 min., OmeU
Diagonale 2021

Regie: Tizza Covi, Rainer Frimmel
Buch: Rainer Frimmel
Darsteller:innen: Kurt Girk, Alois Schmutzer
Kamera: Rainer Frimmel
Schnitt: Tizza Covi
Originalton: Tizza Covi
Musik: Kurt Girk
Sounddesign: Manuel Grandpierre
Produzent:innen: Rainer Frimmel, Tizza Covi
Produktion: Vento Film

 

Eine Wiener Unterwelt? – „Hat’s nie ’geben!“ Tizza Covis und Rainer Frimmels Film kreist um zwei alte Freunde aus dem kriminellen Wiener Milieu der 1960er-Jahre. Lange Wirtshausgespräche mit Alois Schmutzer, dem „König der Unterwelt“, und der Wienerliedlegende Kurt Girk befördern Erinnerungen an vergangene Zeiten zutage, an Glücksspiel, Bandenrivalitäten, Staatsgewalt und Justizskandale, die sich zum Sittenbild österreichischer Nachkriegsgeschichte(n) verdichten.

Eine Unterwelt in Wien? – „Hat’s nie ’geben.“ Der Mann, der die Frage nach einem kriminellen Wiener Milieu gleich zum Auftakt von Tizza Covis und Rainer Frimmels Aufzeichnung dementiert, ist Alois Schmutzer. Ein in den 1960er-Jahren von den Medien zum „König der Unterwelt“ gekrönter „Bezirksraufer“ und einstige Lokalgröße im illegalen Stoßspiel. Ihm und der Wienerliedlegende Kurt Girk, dem „Sinatra von Ottakring“, gilt das Interesse des Films, der die alten Männer, insbesondere ihre Stimmen, ins Zentrum stellt, ihnen Raum gibt, um in gesungener und gesprochener Form ihre Geschichten zu erzählen – über ein vergangenes Leben und über ein Wien, das es so nicht mehr gibt. Dort, wo sich diese Leben vorwiegend abgespielt haben – in den Ottakringer und Meidlinger Stammbeisln, an Orten der Begegnung und Unterhaltung –, treffen Covi und Frimmel auf zwei einzigartige Erscheinungen, die einander seit Jahren freundschaftlich verbunden sind und so manches Erlebnis (mit-)teilen: vom Glücksspiel in Hinterzimmern, von Bandenrivalität, Schlägereien, Schießereien, Polizeigewalt und vom Ehrenkodex in einer Männerwelt.
Es sind die immer noch starken Fleischer­­­­­­pran­ken des einen und die breiten Schultern des zeitlos-eleganten, inzwischen aber zu groß gewordenen Anzugs des zierlichen anderen, die daran erinnern, dass die betagten Herren mal jung, körperlich un­­versehrt und von so manchem gefürchtet waren. Vergangenheit bedeutet für beide aber auch Kindheit während des Zweiten Weltkriegs, Konfrontation mit dem Tod und einem todbringenden Regime. Durch beide Biografien ziehen sich Gewalterfahrungen, die schließlich in der Verurteilung zu acht beziehungs­weise zehn Jahren Haft kulminieren – für einen Postraub, den sie nicht begangen haben: filmreife Geschichten über Staatsherrschaft und geraubte Lebenszeit, aber auch über ein abwechslungs- und begegnungsreiches Leben, die vor allem Kurti bild­haft zu erzählen weiß.
Loisl und Kurti treffen sich nur einmal im Film auf ein gemeinsames Glaserl und ein Wienerlied im Beisl. Aufzeichnungen aus der Unterwelt hält dieses Stück Wiener Zeitgeschichte in langen Einzelgesprächen fest, in einem konzentrierten Dialog zwischen Zeitzeugen und den fragenden Filmemacher/innen im Off. Dazwischen die Kamera und etliche Rollen Super16-Film, auf denen in statischen, perfekt kadrierten Einstellungen die subjektiven Erinnerungen der charismatischen Herren in kontrastreichem Schwarz-Weiß festgehalten werden. Persönliche Geschichten, denen durch Archivmaterialien und Schilderungen von liebsamen wie unliebsamen Wegbegleiter/innen heterogene Narrative an die Seite gestellt werden. Wahrheit mag sich am Ende vielleicht aus so vielen Stimmen zusammensetzen, wie die Freiheit Farben hat. Kurti und Loisl hört man trotzdem am liebsten zu.
(Katalogtext, mk)

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