Canale Grande
Innovatives Kino, AT 1983, Farbe, 88 min., OmeU
Diagonale 2020

Regie, Buch: Friederike Pezold
Darsteller:innen: Friederike Pezold, Elfi Mikesch, Hildegard Westbeld, Ebba Jahn u. a.
Kamera: Elfi Mikesch, Wolfgang Pilgrim, Fritz Ölberg
Produzent:innen: Friederike Pezold
Canale Grande ist eines der geheimen
Meisterwerke des österreichischen
Kinos, ein Musterbeispiel
von subversiver Filmkunst. In dieser
Low-Budget-Arbeit hat die Protagonistin
(von Regisseurin Pezold
selbst gespielt) das konventionelle
Fernsehen satt und erfindet ihre
eigene, höchst persönliche Form
des „Nahsehens“. Während Pezolds
Handschrift durchaus zeitgenössische
Frische aufweist, wohnt den
atmosphärischen Stadtansichten
eine berührende Zeitkapselqualität
inne. Ebenso wie dem vorangehenden
kuriosen Kurzfilm Magic Graz.
Friederike Pezolds Canale Grande ist einer der
originellsten Filme, die je in Österreich (ko-)produziert
wurden. Weil er aber nur extrem selten zu sehen
ist (und nie in einem Heimvideoformat veröffentlicht
wurde), bleibt er zugleich eines der geheimen Meisterwerke
der heimischen Kinogeschichte – was vielleicht
nur angemessen ist für ein Musterbeispiel von Film
als subversiver Kunst.
Zur Eröffnung wird ein Fernsehbildschirm (auf
dem nervtötend volksmusikalisch gedudelt wird)
schwarz übermalt – im Geist der Protagonistin (von
Pezold selbst gespielt) glitzert schon die Idee eines
alternativen Mediums: Für ihr „Radio Freies Utopia“
will sie Fernsehen durch „Nahsehen“ ersetzen, „weil
unpersönlich ist heute eh schon alles“. Frechheit siegt!
Erst gilt es, eine Videokamera zu organisieren – beim
versuchten Abschrauben einer Überwachungskamera
am Karlsplatz bittet Friederike einen herumstehenden
Polizisten um Hilfe, er ist ja schließlich „Freund und
Helfer“. Als es Friederike schließlich gelungen ist, ihr
Programm ins Leben zu rufen, verwandelt sich ihr
Wohnzimmer in ein Heimstudio, in dem utopische
Fantasien umgesetzt werden: Ein Mann bringt ein
Baby zur Welt, die Reiseabenteuer passieren im Kopf,
statt Testbild-Ereignislosigkeit gibt es absurde Performancefestspiele
(„Hexen beim Wixen“), und in einer
Art Grabstein-TV wird sogar über das Leben nach dem
Tod berichtet. Die verspielte und hochkomische Privatproduktion
geht Hand in Hand mit Privatkontakt zum
Publikum – eine Einzelperson genügt –, mit dem auch
gern in frechen Interviews interagiert wird.
Während Canale Grande mit immer neuen Inszenierungsideen
und Wendungen verblüfft, wird gegen
die Gleichschaltung der Medien – „egal ob öffentlich-rechtlich oder privat“ – und die „Scheiße“, mit der
diese das Publikum berieseln, agitiert: „Macht euren
eigenen Scheiß!“
Das Visionäre von Pezolds verschmitzt-anarchischem
Vorschlag ist in Internetzeiten noch augenfälliger
geworden. Pezolds individuelle Handschrift
verleiht Canale Grande dabei eine völlig zeitlose Frische,
auch wenn der Film nebenbei als Zeitdokument
besticht: vom menschlichen Videoturmgestell, das die
altmodische Technik verlangt, bis zu den atmosphärischen
Stadtbildern aus den frühen 1980er-Jahren –
mittendrin übersiedelt Friederike samt dem Film nach
Berlin, denn „in Wien war überhaupt alles immer hin“.
(Katalogtext, Christoph Huber)