Canale Grande
Innovatives Kino, AT 1983, DCP, 88 min, OmeUCanale Grande ist eines der geheimen Meisterwerke des österreichischen Kinos, ein Musterbeispiel von subversiver Filmkunst. In dieser Low-Budget-Arbeit hat die Protagonistin (von Regisseurin Pezold selbst gespielt) das konventionelle Fernsehen satt und erfindet ihre eigene, höchst persönliche Form des „Nahsehens“. Während Pezolds Handschrift durchaus zeitgenössische Frische aufweist, wohnt den atmosphärischen Stadtansichten eine berührende Zeitkapselqualität inne.
Friederike Pezolds Canale Grande ist einer der
originellsten Filme, die je in Österreich (ko-)produziert
wurden. Weil er aber nur extrem selten zu sehen
ist (und nie in einem Heimvideoformat veröffentlicht
wurde), bleibt er zugleich eines der geheimen Meisterwerke
der heimischen Kinogeschichte – was vielleicht
nur angemessen ist für ein Musterbeispiel von Film
als subversiver Kunst.
Zur Eröffnung wird ein Fernsehbildschirm (auf
dem nervtötend volksmusikalisch gedudelt wird)
schwarz übermalt – im Geist der Protagonistin (von
Pezold selbst gespielt) glitzert schon die Idee eines
alternativen Mediums: Für ihr „Radio Freies Utopia“
will sie Fernsehen durch „Nahsehen“ ersetzen, „weil
unpersönlich ist heute eh schon alles“. Frechheit siegt!
Erst gilt es, eine Videokamera zu organisieren – beim
versuchten Abschrauben einer Überwachungskamera
am Karlsplatz bittet Friederike einen herumstehenden
Polizisten um Hilfe, er ist ja schließlich „Freund und
Helfer“. Als es Friederike schließlich gelungen ist, ihr
Programm ins Leben zu rufen, verwandelt sich ihr
Wohnzimmer in ein Heimstudio, in dem utopische
Fantasien umgesetzt werden: Ein Mann bringt ein
Baby zur Welt, die Reiseabenteuer passieren im Kopf,
statt Testbild-Ereignislosigkeit gibt es absurde Performancefestspiele
(„Hexen beim Wixen“), und in einer
Art Grabstein-TV wird sogar über das Leben nach dem
Tod berichtet. Die verspielte und hochkomische Privatproduktion
geht Hand in Hand mit Privatkontakt zum
Publikum – eine Einzelperson genügt –, mit dem auch
gern in frechen Interviews interagiert wird.
Während Canale Grande mit immer neuen Inszenierungsideen
und Wendungen verblüfft, wird gegen
die Gleichschaltung der Medien – „egal ob öffentlich-rechtlich oder privat“ – und die „Scheiße“, mit der
diese das Publikum berieseln, agitiert: „Macht euren
eigenen Scheiß!“
(Katalogtext, Christoph Huber)
Das Visionäre von Pezolds verschmitzt-anarchischem Vorschlag ist in Internetzeiten noch augenfälliger geworden. Pezolds individuelle Handschrift verleiht Canale Grande dabei eine völlig zeitlose Frische, auch wenn der Film nebenbei als Zeitdokument besticht: vom menschlichen Videoturmgestell, das die altmodische Technik verlangt, bis zu den atmosphärischen Stadtbildern aus den frühen 1980er-Jahren – mittendrin übersiedelt Friederike samt dem Film nach Berlin, denn „in Wien war überhaupt alles immer hin“.
Ein zentraler Satz in Canale Grande: „Ich nehme meine Wünsche als Wirklichkeit, weil ich an die Wirklichkeit meiner Wünsche glaube“; in diesem Satz lebt der Elan des Pariser Mai und er überlebt die Programme, Theorien und Begrifflichkeiten der 68er Bewegung und ihrer Folgen. Denn Friederike Pezold argumentiert nicht, und sie erwartet nichts. Sie wartet insbesondere nicht darauf, daß andere ihre Utopie verwirklichen: sie setzt ihre Träume, Phantasien und Latenzen in die Tat um, sofort, auf der Stelle.
Dietrich Kuhlbrodt, Filmbeobachter
Buch: Friederike Pezold
Darsteller:innen: Friederike Pezold, Elfi Mikesch, Hildegard Westbeld, Ebba Jahn u. a.
Kamera: Elfi Mikesch, Wolfgang Pilgrim, Fritz Ölberg
Produzent:innen: Friederike Pezold