Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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A Pile of Ghosts
Dokumentarfilm, AT/SG 2021, Farbe, 70 min., OmeU
Diagonale 2022

Regie: Ella Raidel
Darsteller:innen: Yakira Cang, Charles Yang
Kamera: Ella Raidel, Djordje Arambasic, Karel Picha, Vincent Zheng
Schnitt: Daniel Hui
Originalton: Huawei Cheng, Tong Zhang
Sounddesign: Sander Saarmets
Produzent:innen: Ella Raidel

 

Von der Erschaffung urbanen Raums: Das Plakat steht schon, der Bau muss nachziehen. Makler*innen simulieren in Ermangelung der fertigen Planstadt Verkaufsgespräche noch vor Greenscreens, reden von sich und vom zukünftigen Chengdu als Bild und Produkt. Zusammen mit zwei Schauspieler*innen stellt sich Ella Raidel diese chinesische Stadt als einen Traum von Wohlstand vor, während sich dieser als betongraues Spekulationsobjekt immer höher in den Himmel türmt. Dabei fragt sie sich: Ist eine ausgedachte Stadt weniger wirklich?

An der Sphinx wird noch gearbeitet. Ein fleißiger Handwerker malträtiert ihren Sockel inmitten einer trostlosen Brache mit einer Bohrmaschine. Die Akropolis nebenan sieht schon ausreichend ruinös aus. Beide Sehenswürdigkeiten sind mit einer achtspurigen Straße an eine andere, noch fast unberührte Attraktion angebunden. Von der in Sichtweite gelegenen Retortenstadt, die dort aus dem Boden wächst, verkündet ein Plakat, sie werde einmal die „erste Technopole im Westen Chinas“ sein. Auf der Grafik dominieren Glas und Gras, während in der diesigen Luft hinter der Werbetafel die Arbeiter in Neonkleidung zwischen Matschpfützen und Beton schuften.
Einen Ort mit Geschichte anreichern, ihn nach einem Bild gestalten und ihm damit Wert verleihen, bar jeder Authentizität – von dieser Kommodifizierung urbaner Räume erzählt Ella Raidels Film, oder nähert sich dieser vielmehr an: A Pile of Ghosts zeigt die Imagination einer Stadt, nimmt an den Mechanismen ihrer Erfindung teil: Der Film bewegt sich zwischen Modellen zukünftiger Parkanlagen und Makler*innen, die vor Greenscreens mit stetig wechselnden Rollen lächelnd Verkaufsgespräche simulieren. In einer Stadt, die man sich noch vorstellen muss, ist alles wirklich, was echt erscheinen soll.
Ella Raidel zeigt diese Verwirklichung als Prozess: In den Leerstand einer Geisterstadt wird von den Menschen, die dort arbeiten, Identität hineinperformt. Manche tun dies, indem sie Betonmischer bedienen, die die Aufschrift „Bauen mit Herz“ tragen. Zwei Frauen, die das Gelände mit einem Golfcart befahren, malen derweil für die Besucher*innen die Versprechen zukünftigen Wohlstands aus: Hier sei Platz für opulente Hochzeitsdinner, dort der Pool für die Kinder geplant.
Die junge Box und der dandyhafte Charles hingegen sind offenbar wirklich Schauspieler*innen. Sie sind so etwas wie Protagonist*innen, Wegweiser in einer unfertigen Stadt. Die beiden erzählen bei einem Casting von ihren Lieblingsrollen und ihrer Marktfähigkeit in der chinesischen Kulturindustrie, die mit der von Immobilien seltsam verwoben scheint. Manchmal reiche ihre Gage nicht aus, sagt Box. Deshalb arbeite sie nebenbei als Maklerin. Charles mag alte Hollywoodfilme, kann die Dialoge auswendig aufsagen, „im richtigen Leben“ betreibe er allerdings ein Hotel, das kurz vor dem Abriss stehe. Box und Charles drehen das Spiel der artifiziellen Bilder, die die Lebenswirklichkeiten der Planstadtbewohner*innen prägen, ein letztes Stück weiter. In A Pile of Ghosts bleibt alles eine Sache der Vorstellung – der Leistung, der Darbietung, der Imagination – und damit letztlich eine Sache des Kinos.
(Katalogtext, as)

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