Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Erz Schmerz
Dokumentarfilm, AT 1984, 51 min., dOF
Diagonale 2023

Regie, Buch: Bernhard Frankfurter
Darsteller:innen: Walter Dall-Asen, Hans Hauer, Ida Schelch, Alfred und Christine Teufl
Kamera: Felix Bierbaum
Schnitt: Inge Wistawel
Originalton: Josef Dietrich
Weitere Credits: ORF-Erstausstrahlung 24.4.1984 Konzept & Realisation Bernhard Frankfurter Sprecherin Gertrud Roll Regieassistenz Andrea Christa Produktionsleitung Robert Konetschny Redaktion Alfred Payrleitner
Produktion: ORF

 

Ein dokumentarisches Doppel aus der Arbeitswelt, mit dem Bernhard Frankfurter sein feines Gespür für soziale Schieflagen und den Wandel der österreichischen Industrielandschaft beweist: Zuerst nähen die Frauen von G. im Akkord, anschließend herrscht Erz Schmerz am Erzberg, dem „steirischen Brotlaib“, der die Bevölkerung kaum noch ernährt.

Rings um Eisenerz in der Steiermark stirbt eine jahrtausendealte Arbeitsform, der Erzberg. Frankfurters Film dokumentiert eindringlich den Schmerz, den der Grubenabbau – Wirtschaftskrisen und Kriege überdauernd – in die Gewerke, in ihre Familien und selbst in die ausgemergelte Landschaft gerissen hat. Er zeigt aber auch das Herz, mit dem die Eisenerzer*innen an ihrem Berg hängen, dem „steirischen Brotlaib“, der sie so lange ernährt hat.
Der Sage zufolge schleuderte einst der erzürnte Donnergott einen ungeheuren Berg, der ganz aus schwerem Erz bestand, gegen die Frevler*innen im Tal. 1984 stehen die Bewohner*innen der Kleinstadt vor einer ungewissen Zukunft: Der Grubenabbau soll in naher Zukunft eingestellt, der Tagbau voraussichtlich im Jahr 2030 beendet werden. Erz Schmerz , so die „Wiener Zeitung“, sei „eine Reise in die Geschichte der Knochenarbeiter, die sich ihrer Vergangenheit aus Plackerei und Darben erinnerten. An die Zeit, wo einer für 82 Groschen schuften musste, wo es für jedes Familienmitglied ein Stückerl Kabanossi im Goldpapier gab und die Quartiere voller Flöhe und Wanzen waren. Die Alten erinnern sich der Toten, die der Berg geholt hat. In jeder Generation war es einer. Eine Arbeit – wie Krieg.“ Der miesen Bezahlung und aller Gefahr zum Trotz mussten Bergarbeiter, wie der seit 1958 tätige Betriebsrat Dall-Asen treffend formuliert, ihrem mühevollen Tagwerk immer hinterherziehen: „Oft und oft natürlich betrachtet man auch den Bergmann als wie den Schnurrbart, den was man sich wegrasieren kann – und wenn man ihn braucht, dann lässt man ihn sich wieder wachsen. Und so hat man auch den Bergmann oft in Zentren oder zum Bergbau hingeholt und ihn eben weggeschickt, wenn man ihn nimma braucht hat.“ Diesen Wegen folgt auch der Film, behandelt die Krise durch den stetigen Rückgang der Belegschaft in den letzten Jahrzehnten, den damit einhergehenden Exodus im Betrieb selbst und im örtlichen Gemeinwesen, den immer stärker sichtbaren Verfall der Stadt, die fehlende berufliche Perspektive für die Jugend.
Anfang und Schluss: Eine Aufnahme aus dem Helikopter von Stadt und Berg, eine prächtige Landschaft, die stolze Bergmusikkapelle Eisenerz spielt auf. Die Bewohner*innen haben sich selbst dargestellt und ihre Lebenslinien gezeichnet. Zugleich aber ist der Film eine Abschiedsgeste an eine im Untergang begriffene Industriekultur, ein Lebewohl.
G. steht für Gaming, eine Kleinstadt in Niederösterreich. Einer der wichtigsten Arbeitgeber ist die Textilfirma ANBA, die Tennisbekleidung und Ski-Overalls herstellt. An die hundert Frauen, die meisten keine dreißig Jahre alt, arbeiten im Akkord, „fertigen, was sie niemals kaufen, niemals benützen und niemals tragen werden“, wie die Kommentarsprecherin einleitend bemerkt, es sind „Kollektionen für die Begüterten unter uns“. Frauen von G. ist ein bemerkenswerter Bericht über die harten Arbeitsbedingungen der Näherinnen. Diese erzählen vom extremen Stress, dem sie ausgesetzt sind, vom Betriebsrat, den sie nur gegen Widerstand durchsetzen konnten, und vom viel zu hoch gesteckten Akkordziel, das sie nie erreichen können.
Frankfurter setzt klassische Musik ein, lässt die Kamera die Nähmaschinen entlang durch die Werkshalle fahren und, neben den Frauen, auch die Firmenleitung zu Wort kommen, die das Betriebsklima als „gut“ bezeichnet. Nach der Erstausstrahlung und einer Beschwerde der Firma wurde der Film praktisch nicht mehr gezeigt. „Die in ihrem moralischen und menschlichen Recht getretenen Frauen“, resümierte Frankfurter im „medien-journal“, „die für ein einziges Mal den Mund aufgemacht haben, die einmal das Sagen auf ihrer Seite hatten, sind wieder ins Schweigen beseitigt worden.“
(Katalogtext, Brigitte Mayr, Michael Omasta)

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