Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Rauschlied aus „Künstlerblut“. Tonbild mit Alexander Girardi
Spielfilm, AT 1906, Schwarzweiß, 4 min., stumm
Diagonale 2022

Regie: --- ---

 

„So ein Räuscherl, nur zur rechten Zeit, hat im Leben keiner noch bereut“ – weise Worte, mit denen uns Operettenstar Alexander Girardi schon 1906 mittels Tonbild – sozusagen einer frühen, kuriosen Form des Musikvideos – in die richtige Stimmung versetzt. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“, wäre hingegen jener Rat, den man der jungen Eva (Hedy Lamarr) in Ekstase vor ihrer Hochzeit mit dem älteren Emil mit auf den Weg hätte geben sollen. Der legendäre Skandalfilm macht seinem Titel alle Ehre: Den entfesselten Gefühlsexzess unterstreicht ein hemmungslos-faszinierender Sturm aus Bildern und Tönen. Nach Jahrzehnten ist es dem Filmarchiv Austria gelungen, die Ursprungsfassung des Films zu restaurieren. Ekstase wird im Rahmen der Diagonale’22 so präsentiert, wie ihn sich Regisseur Gustav Machatý erdacht hat.

„So ein Räuscherl, nur zur rechten Zeit, hat im Leben keiner noch bereut“: Weise Worte, mit denen uns Operettenstar Alexander Girardi schon 1906 mittels Tonbild – sozusagen einer frühen, kuriosen Form des Musikvideos – in die richtige Stimmung versetzt. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“, wäre hingegen jener Rat, den man der jungen Eva in Ekstase vor ihrer Hochzeit mit dem älteren Emil mit auf den Weg hätte geben sollen. Viel Ärger hätte sie sich dann erspart, wohl aber auch die rauschhaften, körperlich-sinnlichen Freuden mit dem kernigen Naturburschen Adam nie erfahren. Der Film macht seinem Titel alle Ehre: Den entfesselten Gefühlsexzess unterstreicht ein hemmungslos-faszinierender, erliegen machender Sturm aus Bildern und Tönen.
Ekstas ist ein Ereignis: Nicht nur und vielleicht sogar am allerwenigsten wegen der skandalumwitterten Nacktszenen der späteren (Hollywood-)Ikone Hedy Lamarr, wenn sie nach einem kühlenden Bad in einem Teich ihrem ausgebüxten Hengst hinterherjagt, der in der Ferne eine Stute erspäht. Später, wenn der Hengst die Stute bespringt, hat der Film geradezu diebische Freude damit, uns mit Detailaufnahmen von wedelnden Schweifen, scharrenden Hufen und blähenden Nüstern zu erfreuen, alles Vorbereitung auf den einen Moment hin. Immer wieder lotet Regisseur Gustav Machatý Verbindungen und Gegensätze aus: Natürliches und Mystisches stehen ebenso nah beieinander wie Sinnlichkeit und Verstand, Animalisches und Menschliches, Mann und Frau. Aus heutiger Sicht mag die deutliche Symbolik dieses Films vielleicht platt erscheinen, auf ein Publikum aus dem Jahr 1933 hatte sie sicherlich eine außergewöhnliche Wirkung. Entstanden fünf Jahre nachdem der Tonfilm erfunden war und die Figuren auf der Kinoleinwand zu sprechen gelernt hatten, mutet Ekstase nahezu anachronistisch an: Bis im Film ein Wort gesagt wird, vergeht eine Viertelstunde. Und selbst danach dauert es fast bis zum Ende, bis einmal ein längerer, zusammenhängender Satz fällt, denn gesprochen wird in Ekstase nur das Allernötigste. Stattdessen fallen höchstens Namen, Worte, Satzfetzen. Kommunikation mittels Sprache erweist sich als unzureichend, zum Scheitern verurteilt. Dafür wird umso mehr gezeigt – schon die Anfangsszene liefert dafür ein Lehrstück, wenn sich Evas und Emils Hochzeitsnacht mit zunehmendem Verlauf durch Blicke, Gesten und Aktionen als Pleite offenbart. Giuseppe Becces Musik tut ihr Übriges, den Gatten zu verspotten, ihn spätestens dann jeglicher Potenz zu berauben, als er sich beim Abnehmen ihrer Halskette in den Finger sticht. Und wenn Eva viel später mit ihrem Adam auf dem Bett liegt in jener anderen berühmten Szene, an der sich die Gemüter erhitzten und die unzählige Male analysiert wurde, wird die Musik erst ganz leise, schraubt sich dann in die Höhe und ebbt wieder ab, während die Kamera meist ruhig auf ihrem Gesicht bleibt.
„Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, und ich habe ihn vier oder fünf Mal gesehen, ist die Reaktion des Publikums dieselbe – Zurufe, Applaus, gemischt mit Seufzern und Buhrufen“, schreibt Henry Miller in seiner Zeit in Paris, 1938. „Ich bin davon überzeugt, dass die Feindseligkeit nichts mit der angeblichen Unsittlichkeit des Films zu tun hat. Das Publikum ist nicht schockiert, sondern indigniert. Es fühlt sich, sofern ich das beurteilen kann, im Stich gelassen. (…) Tatsächlich haben ‚SIE‘, die Zuschauer, zwar durchaus recht, aber – wie gewöhnlich – auf die falsche Weise. Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, bin ich mehr beeindruckt; jedes Mal entdecke ich neue Wunderdinge darin.“ Nachdem Ekstase jahrzehntelang nur in unzähligen umgearbeiteten oder verstümmelten Fassungen verfügbar war, ist es nun gelungen, die Ursprungsfassung zu restaurieren. Der Film wird im Rahmen der Diagonale’22 endlich so präsentiert werden können, wie ihn sich Machatý erdacht hat.
Florian Widegger

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