Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Krai
Dokumentarfilm, AT 2021, Schwarzweiß, 123 min.
Diagonale 2022

Regie, Buch: Aleksey Lapin
Darsteller:innen: Elena Nozhenko, Raisa Nozhenko, Vsevolod Nikonov, Arianna Han, Svetlana Gonstein, die Bewohner*innen von Jutanovka, Volokonovka und Umgebung
Kamera: Adrian Campean
Schnitt: Sebastian Schreiner
Originalton: Jaroslaw Redkin, Yuriy Todorov
Sounddesign: Lenja Gathmann
Produzent:innen: Florian Brüning, Thomas Herberth
Produktion: Horse&Fruits Filmproduktion OG

 

Im russischen Jutanovka ist ein Filmteam aus Österreich eingefallen. Unter dem Vorwand, einen Historienfilm zu drehen, beginnen sich Beziehungen zwischen Dörfler*innen und Crew zu etablieren, in welchen dokumentarische und fiktionale Grenzen verschwimmen. Eine Exploration in Schwarz-Weiß, streng und schelmisch zugleich, in der ein mysteriöses Gas sein Unwesen treibt und zwischen Gedichten Pilze aufschimmern. Krai ist eine Spielzone, aber es ist kein tumbes Spiel. Es ist konzentriert und genau bis zu dem Punkt ernsthaft, an dem es noch Vergnügen bereiten kann.

13 Straßen gibt es in Jutanovka, keine tausend Menschen leben in dem kleinen Ort in der russischen Provinz. Dennoch hat Aleksey Lapins Mutter Schwierigkeiten, ihren regieführenden Sohn ausfindig zu machen – Lapin scheint wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht hat es etwas mit dem mysteriösen Gas zu tun, welches angeblich aus einer Grube austritt und möglicherweise das radioaktive Radon enthält. Seva, ein junger Mann, berichtet jedenfalls von Unwohlsein und Pickeln. Außerdem bleiben in Jutanovka ständig die Autos liegen. Als Seva einmal mit Ariana unterwegs ist, einer Breakdancerin, die er ein bisschen umschwärmt, bittet er sie, sich Mund und Nase zuzuhalten, als sie im Wald eine Nebelschwade passieren. In Jutanovka kann man sich nie sicher sein, mit wem oder was man es als Nächstes zu tun bekommt. Und so legt Krai die Spur für mindestens so viele Geschichten, wie es Menschen in diesem abgelegenen und auf sonderbare Weise beschaulichen Landstrich gibt. Jutanovka wird zum formbaren Raum, in dem selbst Bäume nicht davor gefeit sind, gefällt und an anderer Position neu aufgestellt zu werden. Aber auch zur Bühne für Absonderliches und Reflexionen über Dasein und Kino.
Gleich zu Beginn etwa wartet ein verschwunden geglaubter Pilzsammler mit einem Gedicht einschließlich der sich wiederholenden Zeile „Ich liebe dich, Leben“ auf. Und Lapin selbst philosophiert mit Seva am Fluss an einen Baum gelehnt: „Das Kino muss verschiedene Welten zusammenbringen, unterschiedliche Leute verbinden. Und uns am Ende daran erinnern, dass wir Teil einer Menschheit sind.“ An dieser Vision arbeitet Krai. Auch wenn der Film gewissermaßen einen Köder ausgelegt hat: Denn angeblich sind die Österreicher*innen gekommen, um einen historischen Streifen zu drehen. Sie laden zum Casting. Eine 15-Jährige berichtet dann von ihrem Wunsch, berühmt zu werden; ein Mann steht plötzlich in der Küche und spricht vor, während alle anderen vor ihren Suppenschalen sitzen. Die Grenzen zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem verschwimmen, spielen bald schon keine Rolle mehr, in Jutanovka gelten derlei Kategorien schlicht nicht. Daraus erwächst eine ganz eigene Qualität, ein eigener Rhythmus, vor allem aber eine Freiheit. Das formal zunächst streng wirkende Schwarz-Weiß bricht auf in allerhand Einfälle, weite Landschaftsaufnahmen wechseln mit klassischen Nahaufnahmen, man erlaubt sich sogar eine Plansequenz, und auch unheimlich kann es werden. Krai ist eine Spielzone, aber es ist kein tumbes Spiel. Es ist konzentriert und genau bis zu dem Punkt ernsthaft, an dem es noch Vergnügen bereiten kann.
(Katalogtext, cw)

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