Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Sonnenstrahl
Spielfilm, AT 1933, Schwarzweiß, 87 min., dOF
Diagonale 2021

Regie: Paul Fejos
Buch: Adolf Lantz nach einer Idee und einem Manuskript von Paul Fejos
Darsteller:innen: Annabella, Gustav Fröhlich, Paul Otto, Hans Marr, Walter Brandt u. a.
Kamera: Adolf Schlasy, Adolf Weith
Schnitt: Lothar Wolff
Originalton: Alfred Norkus
Musik: Sándor von Szlatinay, Ferenc Farkas, René Stil

 

Wien, Anfang der 1930er-Jahre. Die Weltwirtschaftskrise fordert auch hierzulande ihre Opfer. Der arbeitslose Chauffeur Hans rettet Anna, die sich aus Verzweiflung in dunkelster Nacht in den Donaukanal gestürzt hat, vor dem Ertrinken. Über Gelegenheitsarbeiten finden beide langsam den Weg zurück in die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Eine lichte Sozialutopie, ein Märchen von der proletarischen Solidarität in den modernen Städten, im Roten Wien.

Wien, Anfang der 1930er-Jahre. Die Weltwirtschaftskrise fordert auch hierzulande ihre Opfer. Hans, ein arbeitsloser Chauffeur, rettet Anna, die sich aus Verzweiflung in dunkelster Nacht in den Donaukanal gestürzt hat, vor dem Ertrinken. Von nun an wollen sie gemeinsam durchs Leben gehen. Über Gelegenheitsarbeiten finden sie langsam den Weg zurück in die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Als das große Glück winkt, droht ein Schicksalsschlag alles zu zerstören.
(Katalogtext, Florian Widegger)

Am Ende regnet es vom Himmel her Geld in die aufgespannte Schürze der jungen Frau. Gerade noch schien ihr Unglück besiegelt, nun fliegen ihr von Balkonen und Fenstern des riesigen Gemeindebaus Münzen zu, hart Erspartes und – zum Glück ist Zahltag – mühsam Verdientes. Sparschweine werden zerschlagen und zerschlissene Geldbörsen durchsucht, um die ausstehende Rate für das Taxi zu bezahlen, das der jungen Mitbewohnerin und ihrem Ehemann nach vielen gescheiterten Versuchen zu einer bescheidenen, aber soliden Existenz verhelfen soll. Eine Apotheose proletarischer Solidarität im Roten Wien – so lobte der Kritiker der Arbeiter-Zeitung den Film Sonnenstrahl anlässlich der Premiere am 15. Dezember 1933; ein Symbolbild des „wirklichen“ Wiens abseits der üblichen nostalgischen Filmklischees, das „neue“ Wien der „großen, sonnendurchfluteten Höfe“ und „lichten, gesunden Wohnungen der Wiener Gemeindehäuser“.
Tatsächlich läuft der Film parallel zu den großen Erzählungen und utopischen Entwürfen seiner Zeit und verhandelt, diesen vergleichbar, sowohl die Spannungen zwischen einer neuen, von Medien und Beschleunigung imprägnierten Subjektivität und gesellschaftlichen Reintegration durch Social Engineering als auch durch eine neue visuelle Kultur. Sonnenstrahl wird von der Formensprache, den Designs und dem visuellen Stil des Bauhaus inspiriert, dem letzten Versuch, durch eine produktionsseitige Synthese von Technik, Künsten und Alltagsleben zu einer „rationalen“ Lebensführung zu gelangen.
Regisseur Paul Fejos nimmt dieser Welt gegenüber – so wie die Massen der sozialdemokratischen Wähler/innen, deren Erwartungshorizonte mehr als durch politische Manifeste und statistische Tafeln vom Radio und im Kino konturiert werden, eine ambivalente Haltung ein. Nicht im moralischen, sondern im politischen Sinn. Der Gemeindebau ist in Sonnenstrahl nicht Refugium und auch nicht Gegenort zum hyperurbanen Raum. Eher ist er ein temporäres Asyl für diejenigen, die sich für die moderne Stadt, für den Traumzustand, wieder fit machen müssen, ein Zwischenlager für die Mitglieder eines Streichquartetts oder eben für den angehenden Taxichauffeur, den Repräsentanten des neuen (urbanen) Mittelstandes.
Der hoch regulierte Raum des Roten Wien, der seinen Bewohner/innen kaum eigensinnige Handlungen gestattet, hat am Ende eine kompensatorische Aufgabe für die energetische und Ressourcen verschlingende Großstadt zu erfüllen. Er sichert das „nackte Leben“, die Reproduktion, die sich in der unüberschaubaren Kinderschar manifestiert.
Das „wirkliche“ Leben allerdings folgt nicht den Vorgaben der Sozialtechnokratie, so wie es keinem Souverän folgt, sondern bewegt sich nach dem Modus eines Films, in dem die alltäglichen Dinge durch die Imaginationskraft der Individuen und die Tricks von Kamera, Montage und Schnitt verändert werden, wo „ein Auto nicht schwerer wiegt als ein Strohhut und die Frucht am Baum so schnell sich rundet wie die Gondel eines Luftballons“, wie Walter Benjamin schreibt. In diese Welt werden Anna und Hans zurückkehren, verlassen sie den Gemeindebau mit dem endlich abbezahlten Taxi.
(Siegfried Mattl, „In der fluiden Stadt. Sonnenstrahl und die Produktion anderer Räume im Roten Wien“, in: Elisabeth Büttner (Hg.), Paul Fejos. Die Welt macht Film, Wien 2004.)

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