Rihaction
Innovatives Kino, AT 2019, Farbe, 103 min., eOF
Diagonale 2019

Regie, Buch, Kamera: Neil Young
Schnitt: Neil Young, Dominik Sobolewski
Produzent*innen: Neil Young
Produktion: Neil Young
Der Lip-Sync-Battle zwischen
Zendaya und dem Spider-Man-Darsteller
Tom Holland: Seine Interpretation
von Rihannas „Umbrella“ wurde
zur Internetsensation und brachte
reihenweise Reaction-Videos hervor.
Neil Young reiht diese in seinem
Film aneinander – ein künstlerischer
Eingriff, der das Internetphänomen
in den Kinosaal überträgt und dabei
zur Reflexion über Rezeption, Repräsentation,
Popkultur und den Spirit
des 21. Jahrhunderts einlädt.
Leute sitzen in ihren privaten Räumen und kommentieren
einen rezenten YouTube-Clip: der Lip Sync
Battle der Schauspielerin Zendaya mit dem Spider-
Man-Darsteller Tom Holland. Sie performt „24K
Magic“ von Bruno Mars, er antwortet mit „Umbrella“
von Rihanna. Als Gene Kelly im etwas zu weiten Anzug
ertanzt sich Holland mit aller Lässigkeit die Aufmerksamkeit,
die einen gefühlten Lidschlag später in
Erstaunen wechselt. Der schmächtige Peter Parker
ist zur Superheldin geworden – als Drag-Rihanna performt
Holland in schwarz glänzendem knappem Body
und mit schwarzer Perücke. Ein Auftritt, der 2017
augenblicklich zur viralen Internetsensation wurde
und reihenweise Reaction-Videos hervorbrachte.
Unterteilt von jeweils einem roten oder blauen
Frame (Spider-Mans Kostüm? Die Flagge der USA?)
sehen wir dies alles als Abfolge von Split Screens, die
Shot und Reaction Shot in einem Bild vereinen: im
rahmenden Teil des Bildes die Reagierenden, im kleinen
Kader wieder und wieder Hollands Performance.
„The following clips have been taken from YouTube
and edited only for length.“ Neil Youngs künstlerischer
Eingriff bedeutet weitaus mehr als nur die
Bestimmung von Länge und Reihenfolge der Clips.
Rihaction überträgt das privat konsumierte Internetphänomen
in den Kinosaal, in eine andere Zuschauersituation.
Und so blicken wir als eine/r unter vielen
aus dem Saal auf viele Einzelne in ihren Zimmern, die
Bilder betrachten. Die Idee klingt merkwürdig, doch
das Bedürfnis, emotionale Reaktionen auf medial
vermittelte Ereignisse sehen oder die eigenen Reaktionen
filmen und im Netz teilen zu wollen, ist bemerkenswert.
Es verwundert eigentlich auch nicht, dass
Neil Young, der Filmkritiker und Cinephiler ist, ein
Format aufgreift, das Zuschauer/innen als Kritiker/
innen zeigt.
Rihaction gleicht einem Loop, führt uns dieselbe
Sequenz immer und immer wieder vor, doch
selbst nach mehr als hundert Filmminuten hat man
sich noch nicht sattgesehen: Jedes Mal erlebt man
sie neu, mit anderem Publikum und ein wenig auch
durch dessen Augen. Und irgendwann ertappt man
sich dabei, dass man die Menschen auf der Leinwand
einzuschätzen beginnt – aufgrund ihrer Reaktionen,
ihrer Wohnungen, Möbel, Kleidung, der fragmentierten
Ausblicke in gestaltetes Leben. In wem findet
man sich wieder, wer reagiert enthusiastisch, wem
stößt die Drag-Performance auf, und wer performt
vielleicht selbst vor der Kamera? Und was denken
und fühlen eigentlich die Menschen neben mir im
Kinosaal gerade? Nur selten gestaltet sich die Einladung
zur Reflexion über Rezeption, Repräsentation,
Popkultur und den Spirit des 21. Jahrhunderts so
unverbraucht-unterhaltsam und virulent-witzig wie
in diesem Film.
(Katalogtext,
mk)