NICHT VON SCHLECHTEN ELTERN
Dokumentarfilm, AT 2017, Farbe, 86 min., 15.3. dOV / 16.3.OmeU
Diagonale 2018

Regie, Buch, Kamera: Antonin Svoboda
Schnitt: Joana Scrinzi
Produzent*innen: Bruno Wagner, Antonin Svoboda, Ulrich Seidl
Produktion: coop99 filmproduktion
Diagonale-Preis Schnitt 2018
Beste künstlerische Montage Dokumentarfilm
Drei Familien mit Babys und
Kleinkindern, deren Bindungen
zermürbenden Belastungsproben
ausgesetzt sind: traumatisierende
Geburtserfahrungen, untröstliche
„Schreibabys“, sich nicht einpendeln
wollende Schlaf-Wach-Rhythmen.
Während die Eltern ihren Kummer
artikulieren können, ist die
Ausdrucksweise der Kleinen weitaus
schwerer zu entschlüsseln. Im
Therapieprozess versuchen sie, eine
gemeinsame Sprache zu finden und
jene Ängste zu ergründen, die sie
bedrängen.
Das Therapiezimmer ist schlicht eingerichtet:
kuschelige Decken auf Matratzen und jede Menge
Kissen. An die Wand gekauert sitzen Imke und Klaus
mit ihrem Baby Konrad. Der Kleine weint und wimmert,
kommt nicht zur Ruhe. Auch den sichtlich er-
schöpften Eltern laufen Tränen über die müden Gesichter.
In eng gerahmten Bildern fangen die ersten
Einstellungen die Anspannung ein – die sich zum
Strudel eindrehen kann, wenn die Stopptaste fehlt.
Für seinen Dokumentarfilm hat Antonin Svoboda
drei Familien mit Babys und Kleinkindern begleitet,
deren Bindungen schon früh zermürbenden
Belastungsproben
ausgesetzt sind: traumatisierende
Geburtserfahrungen, untröstliche „Schreibabys“
oder sich nicht einpendeln wollende Schlaf-Wach-
Rhythmen. In einer Bremer Praxis empfängt der
Psychologe Thomas Harms die Familien mit viel Einfühlungsvermögen
und Empathie. Der Film wohnt
Therapiesitzungen
bei, taucht still und beobachtend
in diesen intimen Raum ein, in dem ambivalente
Gefühle ausgesprochen werden dürfen.
Obschon NICHT VON SCHLECHTEN ELTERN
das therapeutische Setting kaum verlässt, gerät der
Film nie zum bedrückenden Kammerspiel. In zwi-
schengeschnittenen Sequenzen kommen weitere
Expert/
innen zu Wort, die sich allesamt mit möglichen
Epizentren in Eltern-Kind-Bindungen befassen.
Während die Eltern Verunsicherungen und Sorgen
formulieren können, ist die Ausdrucksweise
der Babys und Kleinkinder weitaus schwerer zu
entschlüsseln.
Im Therapieprozess versuchen die
Familien,
Kommunikationswege zu finden und jene Ängste
zu ergründen, die sie bedrängen.
Denn
schließlich
ist doch vieles miteinander verstrickt:
besondere Belastungssituationen
in der pränatalen
Phase, komplizierte
Beziehungen, gesellschaftlicher
Erwartungsdruck und das nachhallende
Echo
schwieriger
Entbindungen. Über körperorientierte
Therapieübungen und intensive Gespräche spüren
die Mütter ihren mitunter traumatischen Erlebnissen
nach.
Tagebuchartige Notizen schildern persönliche
Erinnerungen aus dem Kreissaal – eingelesen von
einer Stimme aus dem Off (Ursula Strauss). Über
diesen filmischen Kunstgriff reichen die von der Seele
geschriebenen Erfahrungen einander beistehend auf
der Tonebene die Hand. Svoboda räumt geschickt
Platz im kleinen Therapiezimmer ein, um das komplexe
Thema zu entfalten. Dabei geht er nicht nur
sensibel vor, sondern verwehrt sich aktiv jeglicher
Besserwisserei. Auch das ist Kommunikationshilfe.
(Katalogtext, jk)