Der Bauer zu Nathal
Dokumentarfilm, AT 2018, Farbe, 90 min., OmeU
Diagonale 2019

Regie: Matthias Greuling, David Baldinger
Buch: David Baldinger, Matthias Greuling
Kamera: Matthias Greuling
Schnitt: Matthias Greuling, David Baldinger
Produzent*innen: Matthias Greuling
Produktion: Matthias Greuling Filmproduktion
Koproduktion: Belvedere Film (US)
Im oberösterreichischen Ohlsdorf
besaß Thomas Bernhard einen Vierkanthof.
Das Verhältnis zwischen
den Dorfbewohner/innen und ihrem
prominententesten Mitbürger war
ambivalent. Während dieser in
seinen Texten immer wieder gegen
die Provinz anschimpfte, lässt Der
Bauer zu Nathal die Ohlsdorfer/
innen auf den Dichter blicken. Eine
facettenreiche Auseinandersetzung
mit Bernhards Rolle des Sonderlings
und der komplexen Herausforderung,
als kleine Gemeinde
mit einem großen Vermächtnis
umgehen zu müssen.
Der Bauer zu Nathal ist kein Film über Thomas
Bernhard, so heißt es zu Beginn. Vielmehr interessiert
sich dieser Dokumentarfilm für den Umgang
mit dem Erbe des österreichischen Schriftstellers in
der Gemeinde Ohlsdorf. Hier besaß Bernhard ab Mitte
der 1960er-Jahre einen Vierkanthof – und obwohl
er kaum dort wohnte, ist das Haus am Traunstein
bis heute zentrale Gedenkstätte des verstorbenen
Dramatikers. Matthias Greuling und David Baldinger,
der im Nachbarhaus aufwuchs, spüren der zwiespältigen
Denkweise der Dorfbewohner/innen über
ihren berühmtesten Mitbürger nach, der eine beachtliche
Karriere als Nestbeschmutzer Österreichs
hinlegte und gleichermaßen gegen das Gehabe der
Intellektuellen wie gegen die Provinz anschimpfte.
Seine Hassliebe zum Land ließ ihn in seinen Texten
immer wieder ein unerquickliches Bild vom Dorfleben
zeichnen. Der Film dreht den Bernhard schen
Spieß um: Josef Windischbauer, ein Landwirt und
ehemaliger Totengräber, echauffierte sich kurz nach
Bernhards Tod in einem ORF-Interview recht unverblümt
über den Wirbel um dessen Beisetzung: „Der
gehört hinter dem Misthaufen begraben!“ Über diese
Archivaufnahmen schmunzelnd sitzt Windischbauer
nun an seinem Küchentisch und trägt etwas befremdet
eine Textstelle aus „Alte Meister“ vor, in der sich
Bernhard Zeile für Zeile über die Stumpfsinnigkeit
der Österreicher/innen auslässt. Josef Fürtbauer
hingegen, der den Kirchenwirt in Ohlsdorf betreibt,
zählt zu den wenigen Ortsansässigen, die sich schon
früh zu Bernhard bekannten. Am Eingang seiner
Gastwirtschaft hängt ein Bild des Dichters, der das
Lokal häufig besuchte.
Über die beiden befreundeten Protagonisten
Windischbauer und Fürtbauer veranschaulicht der
Film die Gespaltenheit der Dorfgemeinde gegenüber
Bernhard, doch auch andere Ohlsdorfer/innen
und Bernhard-Kenner/innen, wie die Bürgermeisterin
oder der Vorbesitzer des Anwesens, kommen zu
Wort. Der Film verzichtet auf eine Annäherung an
die Schriftstellerpersönlichkeit, betrachtet Bernhard
konsequent aus der Außenperspektive und platziert
selbst dessen Halbbruder Peter Fabjan während
eines Interviews lediglich vor dem Eingang des Vierkanthofs,
den Bernhard über Jahre hinweg hinter
hohen Mauern eigens renoviert und als „Denk-Kerker“
bezeichnet hatte. In kurzen dazwischengeschobenen
Sequenzen liest der Schauspieler Nicholas Ofczarek
ausgewählte Passagen aus dem Werk Bernhards,
einige reflektieren das Dorfleben. So ist Der Bauer
zu Nathal nicht nur eine facettenreiche Auseinandersetzung
mit Thomas Bernhards Rolle als Sonderling.
Der Film erzählt auch von der komplexen Herausforderung,
als kleine Gemeinde mit einem großen Vermächtnis
umgehen zu müssen.
(Katalogtext, jk)