Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Vienna is Different: 50 Years after the Anschluss
US 1989, Farbe, 75 min., OmdU
Diagonale 2016

Regie: Susan Korda, David Leitner
Buch: Susan Korda, David Leitner
Darsteller:innen: Mitwirkende: Nicolas Kukula, Kurt Waldheim, Erwin Ringel, Gerald Teufel, Niki List, Maximilian Schell, Ilya Gerol, Ernst Hallig, Stefan Hofer, Gustav Ernst, Wolfgang Tomek, Peter Malina, Gustav Spann, Thomas Stern, Sonya Oster, Kurt Diemann
Kamera: David Leitner
Schnitt: Susan Korda
Originalton: Susan Korda
Weitere Credits: Uraufführung: 11. Februar 1989, Internationales Forum des jungen Films
Produzent:innen: Susan Korda, David Leitner
Produktion: Leitmotiv Filmproduktion mit Unterstützung der New York Foundation for the Arts

 

Zeitgleich mit Elizabeth T. Spira wirft Vienna is Different: 50 Years after the Anschluss einen weiteren Blick auf Wien, versammelt Stimmen von Individuen, Institutionen, Werbung und Protesten. Vieles wird gesagt, das man schon kennt, erhellend aber ist, von wem, in welcher Weise, an welchen Orten.

Zum Auftakt der Filmmuseum-Reihe: zwei Filme, in denen vor allem gesprochen wird und in denen die „gesagten Dinge“ (Michel Foucault) ein Archiv bilden, das mehr ist als nur ein Protokoll von Aussagen. Alltagsgeschichte – Am Stammtisch und Vienna is Different: 50 Years after the Anschluss kreisen um zwei historische Momente, die die nahtlose Kontinuität von Geschichte und Gegenwart auf fast unheimliche Weise verdichten – die Präsidentschaft Kurt Waldheims und der fünfzigste Jahrestag des „Anschlusses“ an Nazideutschland. Zwei Filme, in denen Österreich als (selten, aber gelegentlich doch auch kritische) Öffentlichkeit zu Wort kommt – durch die im Staatsgebilde lebenden Individuen, publizierenden Medien, agierenden Institutionen. Aus der Gegenwart heraus formieren sich diese Bilder zu einem brüchigen und facettenreichen Gesellschaftspanorama, einer Kakofonie gesagter Dinge zu einem bestimmten Thema, in einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort.
Einige dieser gesagten (aber damals nicht gehörten) Dinge finden sich im ORF-Archiv in der einzigen nie ausgestrahlten Folge von Elizabeth T. Spiras Alltagsgeschichten mit dem Titel Am Stammtisch. Sie versammelt Wirtshauszusammenkünfte in Wien, der Steiermark, Tirol und Kärnten. Schon lange bevor die Gesprächspartner/innen an Pfeifen-, Jäger-, Schützen- oder Arbeiterstammtischen ihre Gedanken direkt um Waldheim kreisen lassen, beschreiben fast alle gesagten Dinge einen gedanklichen Orbit, in dessen Zentrum Waldheim steht: Tradition, Jugoslawien-Urlaub, „unsere Heimat“ (und „Zurück in die Heimat!“), die junge Generation, die Waffen, die Disziplin und die Türkenkriege. Ungeschönt spielt Spira das Thema zunächst über die Bande, um schließlich den faschistoiden Sud aus Antisemitismus, Geschichtsverleugnung und erschreckendem Selbstbewusstsein in rauchgeschwängerter Atmosphäre zum Kochen zu bringen.
Örtlich und geistig nicht ganz so eng gefasst kommt Österreich 1988 ebenso in Vienna is Different: 50 Years after the Anschluss zum Sprechen. Auch hier wird nichts Neues mitgeteilt – zu Wort kommen u. a. beleidigte Holocaust-Leugner/innen im Trachtenlook, bürgerliche Relativist/innen und Augenzeug/innen der sogenannten „Reibpartien“. Wirklich erhellend ist aber, wie und wo gesprochen wird: Fläzend auf luxuriösen Möbeln unter einem Waldheim-Bild mit persönlicher Danksagung lassen sich die idealistischen Forderungen der „jungen Leut’“ leichter abtun als vor spartanischen Archivregalen mit Geschichtsdokumenten. Im Theater werden die Dinge überzeichnet, beim abendlichen Joint und Wein unter Kreativen hält man zynische Distanz, während der ORF die harte Gangart der ausländischen Presse gegenüber Österreich tadelt. Susan Kordas und David Leitners Film versammelt all das im öffentlichen Raum Gesagte (inklusive der vom Waldheim-Thema durchdrungenen Wiener Werbeflächen) und überträgt es in einen anderen, nicht weniger öffentlichen Raum – in das Kino, wo die Vergangenheit nie ganz vergeht. Was 1988 durch welche Kanäle, in welchen Tonalitäten, begleitet von welchen Gesten und Grimassen, gekleidet in welche Räume und Gewänder gesprochen wurde, gehört auch 2016 noch zum Differenzial von Wien.
(Alejandro Bachmann)

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