Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Der Verlorene
Spielfilm, DE 1951, Schwarzweiß, 98 min., dOF
Diagonale 2021

Regie: Peter Lorre
Buch: Peter Lorre, Axel Eggebrecht, Benno Vigny unter Mitarbeit von Helmut Käutner nach einer Idee von Egon Jameson/Jacobson
Darsteller:innen: Peter Lorre, Karl John, Renate Mannhardt, Johanna Hofer, Gisela Trowe
Kamera: Václav Vich
Schnitt: Carl Otto Bartning
Musik: Willy Schmidt-Gentner
Produzent:innen: Arnold Pressburger, Fred Pressburger
Produktion: Arnold Pressburger Filmproduktion (DE)

 

In Peter Lorres einziger Regiearbeit treffen sich zwei Männer in einem Flüchtlingslager wieder, die während des Kriegs in der medizinischen Forschung gearbeitet hatten: Der eine wurde Nazi, hinterging den anderen, seinen Chef Dr. Rothe, und trieb ihn bis zum Mord an seiner Geliebten. Die Schuld blieb ungesühnt. Bis jetzt. In virtuosen Rückblenden erzählt Der Verlorene eine Geschichte über das Vergangene, das nicht vergehen will, ehe es zu seinem Recht kommt.

In einem Flüchtlingslager in der Nähe von Hamburg arbeitet nach dem Krieg ein gewisser Dr. Neumeister. Früher hieß Neumeister Rothe. Nun trifft er völlig unerwartet mit dem ehemaligen Gestapo-Spitzel Hoesch zusammen, der sich jetzt Novak nennt. Nicht nur leben die zwei Männer unter neuem Namen, die beiden haben auch eine gemeinsame Vergangenheit, die der Film nun, während einer langen durchzechten Nacht, in Rückblenden wieder aufrollt.
Rothe hat 1943 im Affekt seine Verlobte erwürgt, weil sie ihn mit seinem Assistenten Hoesch betrogen und seine Forschungsergebnisse an die Engländer verraten hatte. Der Fall wird jedoch von der Gestapo zu den Akten gelegt und der Mord als Selbstmord ausgegeben, um den nun erpressbaren Wissenschaftler zur Fortsetzung seiner Arbeit zu zwingen. Doch stattdessen zieht die nicht gesühnte Tat andere nach sich, zwingt ihn förmlich zu weiteren Verbrechen, fordert bald ein zweites Opfer. Rothe wird zum Totmacher.
Nach dem Krieg nun versucht Hoesch, mit seinem einstigen Vorgesetzten abermals einen Pakt des Stillschweigens zu schließen. Rothe, vom Wunsch nach gerechter Strafe für seine Taten beherrscht, kehrt die Vorgänge aus der Vergangenheit nicht unter den Tisch, will nicht länger ein „Verlorener“ sein – und tötet erneut, diesmal wohlüberlegt.
Der Verlorene, Peter Lorres einzige Regiearbeit, ist wie ein Bruderfilm zu Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder. Zurück aus der Emigration in Frankreich und den USA, knüpft Lorre mit seinem Film in der jungen Bundesrepublik an das kinematografische Erbe an, das er, zusammen mit vielen anderen Künstlern, in der Weimarer Republik hinterlassen hat“, schreibt der Filmemacher Romuald Karmakar. „Erneut bringt Lorre den Mut auf, einen Lustmörder zu spielen, einen ,Totmacher‘, wie die großartige Gisela Trowe ihn im Film nennt. Anders als bei M ist die Figur des Dr. Rothe, ein Wissenschaftler im weißen Kittel, in das Profiteursystem einer Gesellschaft, zudem in der NS-Zeit, eingebunden. Das akzentuiert den Schulddiskurs, der nicht nur an die Protagonisten des Films und die ,Ausgebombten von Hamburg‘, dem Ort der Spielhandlung, gerichtet ist, sondern auch jene Träger der NS-Zeit im Auge hat, die in der postdiktatorialen Gesellschaft der Bundesrepublik das Aufräumen der Trümmer mit der Aufarbeitung der Verbrechen verwechseln.“
Aufgenommen wurde der nach einem Tatsachenbericht gedrehte Film im Atelier in Bendestorf südlich von Hamburg; die Außenaufnahmen entstanden in der Hansestadt und in Heidenau in der Lüneburger Heide, wo ein Flüchtlingslager mit seinen Baracken nachgebaut wurde. Der Verlorene entwickelt eine verbohrte, verzweifelte Kraft, er hat Mut zur Übersteigerung und ist von Václav Vich grandios fotografiert – ein zwielichtiges Unterfangen buchstäblich, voll schmerzender Hybris.
Für die emigrierte Filmkritikerin Lotte Eisner war Der Verlorene schlicht „der beste deutsche Film seit 1933“. Und Enno Patalas schrieb 1972 anlässlich seiner Wiederaufführung: „Der Film wirkt nicht gealtert wie so viele Zeitfilme aus den Nachkriegsjahren, sondern alt wie die Vorkriegsfilme von Lang, Hitchcock und Sternberg, in denen Lorre gespielt hat. Die Rückblenden sind kein dramaturgischer Notbehelf, sondern das Aufbrechen von verdrängter Zeit.“
(Katalogtext, Brigitte Mayr, Michael Omasta)

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