Gwendolyn
Dokumentarfilm, AT 2017, Farbe, 85 min., OmdU
Diagonale 2018
Regie, Buch: Ruth Kaaserer
Darsteller:innen: Gwendolyn Leick
Charlemagne Kanon
Patrick Atteridge
Joseph Leick
Kamera: Serafin Spitzer
Schnitt: Joana Scrinzi
Originalton: Tong Zhang
Sounddesign: Tong Zhang
Weitere Credits: Tonmischung: Alexander Koller/The Grand Post
Schnittassistenz: Lisa Geretschläger
Compositing & Farbkorrektur: Matthias Halibrand
Produktionsleitung: Stephan Podest
Produzent:innen: Jürgen Karasek, Filip Malinowski
Produktion: Soleil Film
Diagonale-Preis Schnitt 2018
Beste künstlerische Montage Dokumentarfilm
Diagonale-Preis Bildgestaltung 2018
Beste Bildgestaltung Dokumentarfilm
Ruth Kaaserers titelgebende Protagonistin
Gwendolyn ist gebürtige Österreicherin und emigrierte
in den 1970er-Jahren nach England. Inzwischen
ist die 65-jährige promovierte Anthropologin
pensioniert,
doch trotz einer Krebserkrankung, die
immer wieder kräfte- und nervenzehrende Operationen
mit sich bringt, denkt Gwendolyn nicht daran,
sich zur Ruhe zu setzen, im Gegenteil: Täglich geht
sie ins Gym – nicht etwa um den Körper zu straffen,
sondern um für die europäischen Meisterschaften
im Gewichtheben zu trainieren. Gwendolyn hat den
Wettkampfsport erst mit 52 Jahren für sich entdeckt,
seitdem aber zahlreiche internationale Titel gewonnen.
Unter Anweisung ihres langjährigen Trainers
Pat, der seinem Schützling spürbar freundschaftlich-fürsorgend
zugewandt ist, stemmt die zarte Frau
ausdauernd Kilos – trotz Anstrengung – mit leichtfüßiger
Grazie. Voller Anmut und Stolz widersetzt sie
sich dem Alter, trotz Schicksalsschlägen, die sichtbare
Spuren hinterlassen haben, erweist sie sich als
Kämpfernatur.
Nach ihrem Boxerinnenporträt Tough Cookies
(2014) richtet die Filmemacherin Ruth Kaaserer
ihren Blick erneut auf eine Frau, die einen männlich
konnotierten Sport ausübt. Auch wenn die Rolle der
athletischen Gewichtheberin einen zentralen Platz
einnimmt, gibt der Film ebenso der emanzipierten
Intellektuellen, der Mutter, der unabhängigen Ehefrau
und der Großmutter Raum. Das Gewichtheben
ist eine konkrete Leidenschaft Gwendolyns, es ist
aber auch eine Metapher für eine Haltung zum Leben.
Gwendolyn erschließt sich nicht auf den ersten
Blick, bleibt geheimnisvoll, ambivalent, im wahrsten
Sinn des Wortes janusköpfig – aber der Film gibt
dem Publikum genügend Zeit, sie in Ruhe zu studieren:
ihr halbseitig gelähmtes Gesicht, in dem sich ein
Lächeln nicht ohne Weiteres von den Lippen ablesen
lässt, ihren feingliedrigen, aber zähen Körper, ihr stoisches
Wesen. Von Wissensgier, Tatendrang, Lebenswille und Selbstkontrolle getrieben stellt sie sich
nicht nur ihrer Krankheit, sondern auch dem Älterwerden
– stets Contenance bewahrend und mit trockenem
Humor.
Kaaserer verzichtet auf erklärendes Voice-
over
und Interviews. Serafin Spitzers Kamera bleibt auf
beobachtender
Distanz und erzeugt gerade dadurch
Nähe zur Protagonistin, die in ihrem Alltag,
zwischen
Wohnung, Krankenhaus, Trainingshalle und Wettkampfbühne,
vor allem aber in den intensiven und
beeindruckend offenen Beziehungen zu den in ihrem
Leben bedeutsamen Männern (ihrem Mann Charlie,
ihrem Sohn Joseph und ihrem Trainer Pat) als fesselnde
Frau und beeindruckend-facettenreiche
Persönlichkeit
erkennbar wird. Man möchte
Gwendolyn
aufrichtigen Respekt zollen. Das ist sowohl
der Protagonistin
selbst als auch dem Film geschuldet.
(Katalogtext, mk)