Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Frankreich, wir kommen!
Dokumentarfilm, AT 1999, Farbe, 80 min., OmeU
Diagonale 2023

Regie: Michael Glawogger
Buch: Michael Glawogger, Johann Skocek
Darsteller:innen: Roland Spöttling, Johann Skocek, Kurt Dietl, Gerhard Erber, Margit Erber, Michael Lehner, Otto Anton Ruhland, Karin Lauring, Johann Lauring, Marcus Lauring, Herbert Prohaska, Anton Polster, Ivica Vastic, Andreas Herzog
Kamera: Wolfgang Thaler
Schnitt: Monika Willi
Originalton: Ekkehart Baumung
Produzent:innen: Erich Lackner
Produktion: Lotus Filmproduktion GmbH

 

Michael Glawoggers hinreißend humorvoller Dokumentarfilm begleitet den kurzen Aufenthalt des österreichischen Männerteams bei der Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich, indem er die Perspektiven des gewitzt formulierenden und müden Sportkommentators Johann Skocek mit denen mehrerer Fans (darunter ein blinder Musiker, der dennoch jedes Detail des Spiels in sich aufsaugt) kombiniert.

„Der ganze Käse hat noch net einmal angefangen, und in bin jetzt schon ganz fertig“, sagt der österreichische Sportjournalist Johann Skocek, noch bevor der Anpfiff zur Fußball-WM 1998 erfolgt ist. Skocek ist nicht nur als Co-Autor von Michael Glawoggers hinreißender Dokumentation Frankreich, wir kommen! gelistet, sondern auch so etwas wie die Stimme der Vernunft in diesem gut gelaunten Film über die Begeisterung, die Fußball auszulösen vermag – selbst im Angesicht der Niederlage, wie der amüsierte Untertitel „Ein Drama in drei Akten“ gleich anklingen lässt.
Den relativ kurzen Einsatz des österreichischen Nationalteams bei der Frankreich-WM schildert Glawogger aus der Perspektive einiger handverlesener Fans, darunter ein Bankrevisor, der mit seiner Mutter um die hundert Spiele im Jahr besucht, ein Pensionist mit Hang zum Alkoholismus, der nach jedem Match am Grab seines Vaters vom Verlauf berichtet, und – am bewegendsten und für den Glawogger’schen Zugang am charakteristischsten – ein Blinder, dem nichtsdestotrotz kein Detail des Spielverlaufs zu entgehen scheint. Ansonsten sind es natürlich vor allem Schiedsrichter, die der Blindheit beschuldigt werden, wenn die Spiele am Bildschirm in Lokalen oder daheim verfolgt und kommentiert werden. Glawogger übersetzt das Medienereignis Fußball-WM in eine polyphone Materialschlacht, die besonders pointiert wird, wenn die Konfrontation auf dem Feld in eine Auseinandersetzung der – und mit den – verschiedenen Kulturen mündet. Kontinente umspannende Schnitte stellen die unterschiedlichen Reaktionen der Fans aus Österreich und aus den gegnerischen Nationen gegenüber, und allein schon der Tonfall der Fußballkommentatoren spricht Bände: hierzulande eher verzweifelt, poetisch in Kamerun, fiebrig in Chile, zunächst selbstsicher, dann beunruhigt in Italien. Skoceks witzige Analysen, oft müde spätnachts in seinem Hotelzimmer in die Videokamera gesprochen, verdichten aphoristisch die Tragweite der Situation, etwa wenn er meint, Nationaltrainer Herbert Prohaska müsste eine gotische Kathedrale errichten, sei aber nur ein Maurer, der die Baustelle nicht mehr findet. Glawoggers Liebeserklärung an den Fußball offenbart nicht nur nebenbei und mit lakonischem Humor die patriarchalen Umstände eines Fußballabends daheim oder die nationalistischen Ressentiments, die bedient werden („Ivo, jetzt bist du ein echter Österreicher!“, titelt die Krone), sondern auch eine typisch österreichische Haltung, die noch im Angesicht der Verzweiflung Hoffnung schöpft.
(Katalogtext, Christoph Huber)

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