MATTER OUT OF PLACE
Dokumentarfilm, AT 2022, Farbe, 106 min., OmdU
Diagonale 2023
Regie, Buch, Kamera: Nikolaus Geyrhalter
Schnitt: Samira Ghahremani
Originalton: Sergey Martynyuk, Nora Czamler
Sounddesign: Florian Kindlinger, Flora Rajakowitsch
Weitere Credits: Regieassistenz, Aufnahmeleitung: Sophia Laggner
Kamera-Assistenz: Alfred Zacharias
Zusätzlicher Schnitt: Michael Palm
Farbkorrektur: Lukas Lerperger
VFX: Sebastian Arlamovsky
Tonmischung: Alexander Koller
Produktionsleitung: Antonia Bernkopf, Teresa-Saija Wieser
Herstellungsleitung: Michael Kitzberger
Produzent:innen: Nikolaus Geyrhalter, Michael Kitzberger, Wolfgang Widerhofer, Markus Glaser
Produktion: NGF - Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH
Nikolaus Geyrhalter betrachtet den Müll als globales Phänomen und sucht dafür verschiedenste Orte auf – den Meeresgrund und die Berge, Nepal und Österreich, die Verbrennungsanlage und die Wüste Nevadas. Zwischen Gestank und Verpuffungen macht er die Zusammenhänge aus, die Bergtourismus und Müllberg in süßer Klebrigkeit zusammenhalten – und wie immer sind es allein die Bilder, die er davon sprechen lässt.
Ein verschneiter Wald, scheinbar unberührte Natur, dann Plastikreste und alte Verpackungen am versifften Strand – schon in den ersten Minuten von MATTER OUT OF PLACE wird klar: Bei der deplatzierten Materie, die hier gemeint ist, handelt es sich um Müll. Papier, Plastik, Elektroschrott, Sperrmüll, Kleinstteile, Industrieabfälle, Metall, einfach alles. Wobei die Bezeichnung matter out of place eigentlich nicht ganz passend ist, wird doch schnell deutlich, dass es für die Unmengen an Müll gar keinen Platz gibt. Und so dokumentiert Nikolaus Geyrhalter die quasi logische Konsequenz aus diesem Umstand. Nämlich dass der Müll permanent in Bewegung ist, verschoben wird zwischen all den Orten, an die er eigentlich nicht gehört. Eine mal mehr, mal weniger zähe Masse, die betreut, sortiert, vergraben, geborgen oder sonst wie bearbeitet werden will – und zwar überall auf der Welt.
Wie schon in seinem letzten Film Erde (2019), in dem er den Raubbau am gleichnamigen Planeten dokumentiert, reist Geyrhalter auch dieses Mal an unterschiedlichste Orte, um das Phänomen Müll als globales erfahrbar zu machen. Er beobachtet Taucher*innen bei der Suche nach alten Autoreifen am griechischen Meeresgrund oder die Müllabfuhr in den Schweizer Alpen, wo das Müllauto regelmäßig mit dem Skilift vom Berg ins Tal transportiert wird. Er begleitet Müllsammler*innen an den Stränden Albaniens und den LKW-Konvoi zu einer nepalesischen Halde. Wie immer hält Geyrhalter es mit seinem dokumentarischen Ethos ganz genau: Die nüchterne Beobachtung, bei der nur das Material sprechen darf. Keine Interviews, kein Voice-over, keine zusätzliche Musik – dafür lange Totalen, die zu einem fast zweistündigen Film montiert werden. In dieser Semantik, in der Bilder Bilder befragen, tritt dem Publikum der Müll nicht als infrastrukturelle Herausforderung entgegen, sondern als etwas, das sich kaum mehr kontrollieren lässt. Der Müll als anarchischer Abfall der Weltbevölkerung, in der die Linie wie immer verdammt schief gezogen ist zwischen denen, die ihn produzieren, und denen, die ihn verwalten und beseitigen müssen. Fast meint man, den Müll riechen zu können und die Fliegen mit der eigenen Hand verscheuchen zu müssen, so insistierend das Geyrhalter’sche Beobachten. Und irgendwo zwischen Gestank und Verpuffungen lassen sich die Umrisse der Ökonomien ausmachen, die Bergtourismus und Müllberg in süßer Klebrigkeit zusammenhalten. Fragt sich nur, ob wirklich der Müll out of place ist oder die Verhältnismäßigkeit.
(Katalogtext, ek)