SPARTA
Spielfilm, AT/FR/DE 2022, Farbe, 99 min., OmdU
Diagonale 2023
Regie: Ulrich Seidl
Buch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Darsteller:innen: Georg Friedrich, Florentina Elena Pop, Hans-Michael Rehberg, Marius Ignat, Octavian-Nicolae Cocis
Kamera: Wolfgang Thaler, Serafin Spitzer
Schnitt: Monika Willi
Originalton: Klaus Kellermann
Sounddesign: Matz Müller
Szenenbild: Andreas Donhauser, Renate Martin
Kostüm: Tanja Hausner
Weitere Credits: Casting: Henri Steinmetz
Additional Editing: Andrea Wagner
Farben, Mastering: Andi Winter
Re-recording: Tobias Fleig
Executive Producers DE, FR: Sarah Nagel, Isabell Wiegand | Executive Producers: Dan Wechsler, Jamal Zeinal-Zade, Andreas
Roald | Associate Producer: Veronika Franz | Producers: Philippe Bober, Michel Merkt | Producer: Ulrich Seidl |
Produzent:innen: Ulrich Seidl, Philippe Bober, Michel Merkt
Produktion: Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH
Koproduktion: In Koproduktion mit Bayerischer Rundfunk, Arte France Cinéma
in collaboration with Arte | In Koproduktion mit Essential Films, Parisienne de Production
Nach RIMINI vollendet Ulrich Seidls jüngste Arbeit sein Diptychon über zwei Brüder, die sich in der Ferne lange verdrängten Wahrheiten stellen müssen. SPARTA erzählt von Ewald (Georg Friedrich), Mitte vierzig, der aus einer unglücklichen Beziehung ausbricht und in einem ärmlichen rumänischen Landstrich einen Neuanfang versucht. Ein Film über die Unentrinnbarkeit der eigenen Vergangenheit und den Schmerz, sich selbst zu finden.
Während der eine, der mit dem Künstlernamen Richie Bravo, durch Schneematsch und über winterliche Strände gestapft ist, immer raumfüllend, sich immerzu Raum nehmend, verschwindet der andere, also sein jüngerer Bruder Ewald (sensationell: Georg Friedrich), vor sehenden Augen, verschmilzt mit den farblosen, ausgebleichten Wänden, rinnt aus in seiner unglücklichen, leidenschaftslosen Beziehung mit seiner rumänischen Freundin. Er weiß, er muss raus, ausbrechen aus diesem Gefängnis, das er sich selbst gebaut hat zum Schutz vor all den Regungen und Zuneigungen, all den Gefühlen, die er nicht haben soll und darf, die aber da sind, ganz klar umrissen. Ewald versucht einen Neuanfang in einem verarmten rumänischen Landstrich. Gemeinsam mit Buben aus dem Dorf baut er ein altes, verfallenes Schulgebäude zu einer Festung aus. „Sparta“ steht über dem Eingang des von einem undurchsichtigen Holzzaun umgebenen Geländes, auf dem die Burschen einen Sommer lang rangeln und raufen, Judo lernen und in Plastikrüstungen zu Ewalds Schlachtruf „Molon labe!“, einer Durchhalteparole der historischen Spartaner, über die Wiesen marschieren. Unter deren Eltern regt sich währenddessen Unmut, gärt der Argwohn über diesen Fremden, der ihre Kinder vereinnahmt und ihnen, so vermuten sie, vielleicht auch zu nahe kommt.
SPARTA ist das Komplementärstück zu RIMINI: In beiden Arbeiten suchen Männer in der Ferne das Weite, werden aber jeweils von ihrer Vergangenheit wieder eingeholt. Georg Friedrich brilliert, erstaunt und erschüttert als in sich zusammengefallener Mann mit pädophilen Neigungen, der einen Weg sucht und keinen findet, mit seinen Gefühlen umzugehen. SPARTA erzählt aber auch von Machtgefällen und deren Missbrauch, von abwesenden Vätern und verelendeten Seelen, von Familien jenseits von Zärtlichkeit, von Burschen, die in einem Bretterverschlag den schönsten, unbeschwertesten Sommer ihres Lebens verbringen. All das gefasst in exakte Kompositionen, so typisch für Ulrich Seidl, die Blick und Gefühl mal einengen, mal erweitern in Montagen so entschlackt wie elegant, geschliffen zur idealen Form einer täuschend simplen Seelenvermessung, die auf uns als Zusehende und Wahrnehmende und Mitfühlende all das rückprojiziert, was in Ewalds Geschichte angelegt ist: die Sehnsucht nach Geborgenheit, die Ahnung vom Abgrund, das Wissen um das eigene Scheitern, immer und immer wieder.
(Katalogtext, Markus Keuschnigg)