Frankreich, wir kommen!
Dokumentarfilm, AT 1999, Farbe, 80 min., OmeU
Diagonale 2023
Regie: Michael Glawogger
Buch: Michael Glawogger, Johann Skocek
Darsteller:innen: Roland Spöttling, Johann Skocek, Kurt Dietl, Gerhard Erber, Margit Erber, Michael Lehner, Otto Anton Ruhland, Karin Lauring, Johann Lauring, Marcus Lauring, Herbert Prohaska, Anton Polster, Ivica Vastic, Andreas Herzog
Kamera: Wolfgang Thaler
Schnitt: Monika Willi
Originalton: Ekkehart Baumung
Produzent:innen: Erich Lackner
Produktion: Lotus Filmproduktion GmbH
Michael Glawoggers hinreißend humorvoller Dokumentarfilm begleitet den kurzen Aufenthalt des österreichischen Männerteams bei der Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich, indem er die Perspektiven des gewitzt
formulierenden und müden Sportkommentators
Johann Skocek
mit denen mehrerer Fans (darunter
ein blinder Musiker, der dennoch
jedes Detail des Spiels in sich aufsaugt)
kombiniert.
„Der ganze Käse hat noch net einmal angefangen,
und in bin jetzt schon ganz fertig“, sagt der
österreichische Sportjournalist Johann Skocek,
noch bevor der Anpfiff zur Fußball-WM 1998 erfolgt
ist. Skocek ist nicht nur als Co-Autor von Michael
Glawoggers hinreißender Dokumentation Frankreich,
wir kommen! gelistet, sondern auch so etwas wie die
Stimme der Vernunft in diesem gut gelaunten Film
über die Begeisterung, die Fußball auszulösen vermag
– selbst im Angesicht der Niederlage, wie der
amüsierte Untertitel „Ein Drama in drei Akten“ gleich
anklingen lässt.
Den relativ kurzen Einsatz des österreichischen
Nationalteams bei der Frankreich-WM schildert Glawogger
aus der Perspektive einiger handverlesener
Fans, darunter ein Bankrevisor, der mit seiner Mutter
um die hundert Spiele im Jahr besucht, ein Pensionist
mit Hang zum Alkoholismus, der nach jedem Match
am Grab seines Vaters vom Verlauf berichtet, und –
am bewegendsten und für den Glawogger’schen
Zugang am charakteristischsten – ein Blinder, dem
nichtsdestotrotz kein Detail des Spielverlaufs zu entgehen
scheint. Ansonsten sind es natürlich vor allem
Schiedsrichter, die der Blindheit beschuldigt werden,
wenn die Spiele am Bildschirm in Lokalen oder
daheim verfolgt und kommentiert werden. Glawogger
übersetzt das Medienereignis Fußball-WM in eine
polyphone Materialschlacht, die besonders pointiert
wird, wenn die Konfrontation auf dem Feld in eine
Auseinandersetzung der – und mit den – verschiedenen
Kulturen mündet. Kontinente umspannende
Schnitte stellen die unterschiedlichen Reaktionen
der Fans aus Österreich und aus den gegnerischen
Nationen gegenüber, und allein schon der Tonfall der
Fußballkommentatoren spricht Bände: hierzulande
eher verzweifelt, poetisch in Kamerun, fiebrig in Chile,
zunächst selbstsicher, dann beunruhigt in Italien.
Skoceks witzige Analysen, oft müde spätnachts
in seinem Hotelzimmer in die Videokamera gesprochen,
verdichten aphoristisch die Tragweite der Situation,
etwa wenn er meint, Nationaltrainer Herbert
Prohaska müsste eine gotische Kathedrale errichten,
sei aber nur ein Maurer, der die Baustelle nicht mehr
findet. Glawoggers Liebeserklärung an den Fußball
offenbart nicht nur nebenbei und mit lakonischem
Humor die patriarchalen Umstände eines Fußballabends
daheim oder die nationalistischen Ressentiments,
die bedient werden („Ivo, jetzt bist du ein
echter Österreicher!“, titelt die Krone), sondern auch
eine typisch österreichische Haltung, die noch im
Angesicht der Verzweiflung Hoffnung schöpft.
(Katalogtext, Christoph Huber)