Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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A Boy's Life
Dokumentarfilm, AT 2023, Schwarzweiß, 96 min., eOmdU
Diagonale 2023

Regie: Christian Krönes, Florian Weigensamer
Buch: Florian Weigensamer, Christian Krönes
Darsteller:innen: Daniel Chanoch
Kamera: Christian Kermer
Schnitt: Christian Kermer
Originalton: Felix Sturmberger, Jürgen Kloihofer
Sounddesign: Felix Sturmberger, Jürgen Kloihofer
Produzent:innen: Christian Krönes, Susanne Krönes, Florian Weigensamer
Produktion: Blackbox Film & Medienproduktion GmbH

 

Daniel Chanoch bezeichnet seine Perspektive als die eines Außenseiters. Er spricht über andere Dinge, erinnert anders. Chanoch ist Auschwitz-Überlebender. 1945 wurde er als Zwölfjähriger – nach 44 Monaten in verschiedenen KZs – befreit. Archivmaterial fügt sich fragmentarisch zu den Aufnahmen des Zeitzeugen, die Erinnerung des Einzelnen wird schließlich zum Bruchstück einer kollektiven Geschichte.

„Ich denke, die Vision und die Philosophie eines Auschwitz-Überlebenden sind anders. Er sieht die Welt mit anderen Augen, und er ist ein Außenseiter. Es beeinflusst dich, es arbeitet in dir, es setzt sich in dir fest wie eine Amöbe“, erzählt Daniel Chanoch und verortet sich damit in einer Welt, die ihn und seine Geschichte fortwährend ins Abseits drängt. Dorthin, wo niemand hinschauen will, wo das als unaussprechbar Abgetane besprochen und die Gegenwart nicht von der Vergangenheit getrennt wird.
In Chanochs Sprache leben Bilder, seine Erzählungen sind gesäumt von Metaphern. Er beschreibt Sehnsuchtsorte durch den Duft von Orangen und die Begegnungen in der Nachkriegszeit als das Aufeinandertreffen von Gletschern. Selbst bleibt er beim Sprechen meist direkt, fast kühl und erzählt immer wieder von emotionaler Distanz, die nötig war, um zu überleben.
Geboren wurde Daniel Chanoch am 2. Februar 1932 in Kaunas, Litauen. Als einer von 131 jüdischen Buben aus Kaunas wurde er nach dem Einmarsch der Deutschen, damals achtjährig, ins Ghetto und später nach Auschwitz-Birkenau deportiert. In Auschwitz wurde er zur Arbeit an der Rampe zu den Gaskammern gezwungen und war Josef Mengeles „Vorzeigepatient“. Weder hört seine Geschichte jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg auf, noch stoppt seine Erzählung bei den Erinnerungen an das Nachkriegsösterreich, das keinen Platz für ihn hatte. Chanochs Historie zieht sich bis in die Gegenwart: Er erklärt, warum er bis heute nicht weiß, wie man ein Vater ist. Gibt zu, an der Idee festzuhalten, dass Mutter und Schwester noch immer am Leben sind, weil niemand genau sagen kann, was in den Arbeitslagern von Stutthof passiert ist. Fragt sich, was es bedeutet, dass seine Schilderungen über das Erlebte zu traumatisch für Zuhörende zu sein scheinen.
Doch Chanoch erzählt nicht allein. Christian Krönes und Florian Weigensamer – wie zuletzt 2021 in Marko Feingold – Ein jüdisches Leben – verknüpfen die kontrastreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Protagonisten mit Propaganda- und Aufklärungsfilmen, Mitschnitten des Eichmann-Prozesses sowie Gesprächen mit Chanochs Bruder. Die individuelle Erinnerung wird so zu einer kollektiven, der systematische und alltägliche Charakter der Gewalt akzentuiert. Vergangenheit und Gegenwart, individuelles und kollektives Gedächtnis verschränken sich in A Boy’s Life , bauen aufeinander auf, schieben sich ineinander. Es entsteht ein Gewebe, das dicht genug ist, um eine Geschichte zu erzählen. Doch die Zwischenräume – Leerstellen voller Fragen, die noch auf Antworten warten – bleiben.
(Katalogtext, lh)

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