tracing THALERHOF
Innovatives Kino kurz, AT 2014, 8 min., OmeU
Diagonale 2022
Regie: Lotte Schreiber
Produktion: next - Verein für zeitgenössische Kunst Graz
Film noir aus Thaliwood. Wir erleben den psychischen Verfall des Versicherungsagenten Peter Lissen, der hoch hinauswollte, indem er Verträge mit nicht existenten Leuten abschloss und nach deren „Ableben“ die Prämie kassierte. Seine erste fiktive Person jedoch wird dem Betrüger zum Verhängnis. Das Regiedebüt Prämien auf den Tod des Schauspielers Curd Jürgens, produziert von der Grazer Alpenfilm-Austria. Zum Auftakt: tracing THALERHOF, eine achtminütige Filmcollage von Lotte Schreiber über den Flughafen Thalerhof, an dessen Stelle sich von 1914 bis 1917 ein Internierungslager befand.
Ein österreichischer Kriminalfilm, angesiedelt in einer südländischen Hafenmetropole, erzählt in Rückblende, wie ein Film noir. „Es trieb mich durch die Stadt“, erinnert sich Peter Lissen, „in mir brannte es!“ Da hat der erfolglose Versicherungsagent eine geniale Idee, um an Geld zu kommen und seiner Herzensdame Evelyn zu imponieren: Er schließt Polizzen für Leute ab, die es gar nicht gibt, kassiert die Provision, lässt sie später nach Gutdünken sterben und sich die Prämien über Mittelsmänner auszahlen. Die Totenscheine dafür stellt ihm ein heruntergekommener Schiffsarzt aus. Als eine dieser erfundenen Existenzen sich als reale Person herausstellt, wird dies Lissen zum Verhängnis. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Einbildung beginnen sich aufzulösen.
Prämien auf den Tod ist das beeindruckende Regiedebüt des Schauspielstars Curd Jürgens. Es basiert auf einer von ihm selbst verfassten Erzählung, einer Paraphrase auf Nikolai Gogols unvollendeten Roman „Die toten Seelen“. Das Drehbuch schrieb Jürgens gemeinsam mit Kurt Heuser, einem Routinier, der vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem bei Filmen von Detlef Sierck und G. W. Pabst als Autor zeichnete. Die sechswöchigen Dreharbeiten fanden im Sommer 1949 statt, die Außenaufnahmen im Hafen von Genua und – unter reger Anteilnahme der lokalen Presse – in der Grazer Innenstadt; die Interieurs wie etwa die verrufene Hafenkneipe wurden im Studio der Alpenfilm Austria in der adaptierten Flugzeughalle in Thalerhof aufgenommen.
Gestaltet ist der Film wie ein später Ausläufer des expressionistischen Kinos, die Kamera von Günther Anders gefällt sich im Spiel mit surrealen Effekten und Zitaten wie aus Das Cabinet des Dr. Caligari. „Dazu ausgiebig Chiaroscuro“, so Christoph Fuchs in „Come and shoot in Austria“, seinem Buch zum österreichischen Kriminalfilm: „Schattenspiele an den Wänden oder durch die Lamellen der Jalousien, am Ende durch die Gitterstäbe des Gefängnisses, erzeugen eine schummrige, düstere Atmosphäre und begleiten den allmählichen psychischen Verfall des Versicherungsagenten. Das innere Gefangensein und das plagende Gewissen, das Hochhinauswollen und das tiefe Fallen sind hier die großen Themen.“ Curd Jürgens ließ durchblicken, dass er beim Schreiben der Erzählung „eigene Erfahrungen mit der Droge Pervitin verarbeitete, einem starken Aufputschmittel, das teils verheerende Folgen zeitigt von Wahnvorstellungen bis hin zum Suizid“.
Nicht nur die Erschaffung dieser bitterbösen Welt aus Halluzinationen, trügerischen Hoffnungen und faulen Tricks begeisterte die zeitgenössische Kritik, sie war auch voll des Lobes für die Darsteller*innen des Films, allen voran Siegfried Breuer. „Er ist nicht wiederzuerkennen. Seine Haltung, sein Gang und sein Gesicht, die Verschlossenheit und Verinnerlichung seines Ausdruckes zeigen, daß dieser ,Akquisiteur Lissen‘ ihn vollständig in seiner Gewalt hat. Wie ein Hypnotisierter folgt er dem Dämon seiner Filmgestalt. Ein fesselndes Schauspiel. Die große Frauenrolle des Films trägt Judith Holzmeister. Sie ist Evelyn Biaggi, eine Dame der Gesellschaft, sehr schön, sehr reich, hochmütig und launenhaft, aber bevorzugt dazu bestimmt, an der Enthüllung einer Seele mitzuwirken“ (Lisa Simmel, „Mein Film“, 1949). Den versoffenen Schiffsarzt gibt Werner Krauß. Dass der vormalige Hauptdarsteller im NS-Propagandafilm Jud Süß nur dank Jürgens’ Beziehungen zum US-Kulturoffizier (und späteren Burgtheaterdirektor) Ernst Haeusserman erstmals nach 1945 eine Drehgenehmigung bekam, blieb geflissentlich unerwähnt.
Zum Auftakt: tracing THALERHOF, eine achtminütige Filmcollage von Lotte Schreiber über den Flughafen Thalerhof, an dessen Stelle sich von 1914 bis 1917 ein Internierungslager befand.
(Brigitte Mayr, Michael Omasta)