Models
Spielfilm, AT 1998, Farbe, 118 min., dOF
Diagonale 2019
Regie, Buch: Ulrich Seidl
Darsteller:innen: Vivian Bartsch, Tanja Petrovsky, Lisa Grossmann, Elvyra Geyer, Peter Baumann
Kamera: Hans Selikovsky, Jerzy Palacz, Ortrun Bauer
Schnitt: Christof Schertenleib
Originalton: Ekkehart Baumung, Helmut Junker, Bruno Pisek
Produktion: MR-Film
Kurdwin Ayubs witzig-smarte Demontage
(medialer) Weiblichkeitsrepräsentationen
ist Auftakt für Ulrich
Seidls Porträt dreier Wiener Models,
das Einblicke in einen Alltag jenseits
von Ruhm und Glamour gewährt
und Zugang zur tristen Hinterbühne
einer Welt, die sich ums Sehen und
Gesehenwerden, um Bilder und
deren Produktion dreht. Modelleben
heißt Dauerdruck.
Ulrich Seidl mag einem auf der Suche nach
österreichischen Filmemachern mit feministischer
Agenda nicht sofort in den Sinn kommen. Dabei
offenbart sich im Seidl’schen OEuvre ein spezifisches
Interesse für weibliche Lebensrealitäten und dementsprechend
komplexe Figuren. Auch schon vor
der PARADIES-Trilogie (2012/13), dem Porträt
dreier Frauen, wird Weiblichkeit als Konstrukt sichtbar
und hinterfragbar. Seidls Filme wollen vor allem
eines: problematisieren. Diesbezüglich erweist sich
Models als Kondensat jener vielschichtigen Dimensionen
von Weiblichkeit, um die die konzeptuellen
Überlegungen zum historischen Special immer wieder
kreisen: Körper, Blicke, Machtverhältnisse, Sexualität,
Arbeit, Mutterschaft, Alter und wie diese im
Film verhandelt werden.
Das allegorische Eröffnungsbild des Films zeigt
eine Frau allein im Badezimmer, die sich in einem
Kosmetikspiegel begutachtet und mantraartig ihre
Liebe beteuert. Während dieser Selbstbeschauung
bleibt das Gesicht hinter dem runden Spiegel verborgen,
das Individuum gesichtslos, unsichtbar,
reine Projektionsfläche für die Betrachter/innen,
zugleich geht ihr Gesicht unter, verschwindet hinter
dem Bedürfnis, reflektiert zu werden. Seidl blickt im
Folgenden mit gewohnter Insistenz hinter die schönen
Fassaden, gibt fragmentarische Einblicke in den
Alltag der Wiener Models Vivian, Lisa und Tanja –
Existenzen, die sich jenseits von Ruhm und Glamour
verorten müssen.
„Ich pack die Realität einfach nicht“ – Modelleben
bedeutet leben unter Dauerdruck: ständiges Unterwegssein,
Koks, Alkohol, Clubnächte, Schlafmangel,
körperlicher Verfall, Einsamkeit. Dazwischen prüfende
Blicke in den Spiegel und Attraktivitätssteigerung –
Sport, Erbrechen, Cellulite-Wegschröpfen, Solarium
oder einfach noch mehr Koks. Wenn die Waage
bedrohlich ausschlägt oder die Proportionen zu wünschen
übrig lassen, helfen kosmetische oder operative
Manipulationen. Über den Zugang zu diesen Frauen,
die für die Aussicht auf Karriere nicht bloß ihren Körper
verkaufen (müssen), entlarvt Seidl eine frauenverachtende
Branche, die von Projektionsflächen lebt
und in Äußerlichkeiten das Einzige sieht, was zählt
(und sich auszahlt). Körperperformance-Wahnsinn
also für Jobs, Geld und Männer. Oder: für Jobs, die
von Männern vergeben werden und in denen Männer
Frauen-Bilder inszenieren – projizierte Weiblichkeiten
von und für Männer.
Seidl weist den Frauen keinen Opferstatus zu,
vermittelt aber eine Vorstellung von ihren inneren
Verletzungen. Wer schön sein will, muss bekanntlich
leiden – in einer Welt, in der weibliche Schönheit von
Männern definiert wird, scheint sich dieses Richtmaß
zu bewahrheiten.
Tatsächlich arbeitet Seidl dagegen an, entlässt
die Frauen aus der Rolle des sexualisierten Objekts,
gibt den Individuen Raum, ist immer ganz bei ihnen.
Und mit ihm die Zuschauer/innen, die durch den
Spiegel auf die Hinterbühne einer Welt schauen, die
sich ums Sehen und Gesehenwerden, um Bilder und
deren Produktion dreht – ums Image, das Models
nicht reproduziert, sondern dekonstruiert, das auf seine
Betrachter/innen zurückblickt, ihnen den Spiegel
vorhält.
Eine das Publikum adressierende Performance
bietet auch Kurdwin Ayubs Videoarbeit sexy. In bauchfreiem
Top und Leggings räkelt sich die Filmemacherin
auf ihrem schmucklosen Bett vor der Kamera,
versucht sich in sexy Posen, ist verunsichert ob ihrer
Ausführungen und wirft deshalb immer wieder prüfende
Blicke – nicht in den Spiegel, sondern auf einen
großen Flachbildschirm, auf dem sich die amerikanische
Popikone Miley Cyrus halbnackt und in slicken
Settings als cool-laszive Verführerin gibt. Eine smarte
Miniatur über Authentizität und Inszenierung, Voyeurismus
und Narzissmus, die (mediale) Weiblichkeitsrepräsentationen
spielerisch zu demontieren weiß.
(Michelle Koch)