DIE DRITTE OPTION
Dokumentarfilm, AT 2017, Farbe, 78 min., OmeU
Diagonale 2017

Regie, Buch: Thomas Fürhapter
Kamera: Judith Benedikt
Schnitt: Dieter Pichler
Originalton: Andreas Hamza
Weitere Credits:
Tonmischung: Tom Pötz
Dramaturgische Beratung: Constantin Wulff
Produzent:innen: Johannes Rosenberger
Produktion: Navigator Film
Was tun, wenn man erfährt, dass
man ein körperlich oder geistig
beeinträchtigtes Kind erwartet? Ausgehend
von dieser Frage entwickelt
Thomas Fürhapter seinen komplexen
filmischen Essay: DIE DRITTE
OPTION setzt Einzelschicksale im
Zeitalter von Pränataldiagnostik und
Biopolitik in einen radikal gegenwärtigen
und gesellschaftspolitischen
Zusammenhang. Schicht um
Schicht wird der Blick freigeräumt
für grundsätzliche Fragen zu Geburt,
Ethik und Norm – so wird das, was
nur wenige betrifft, zu etwas, das
alle angeht.
Der Fetozid, die Tötung des Kindes im Mutterleib, als
dritte Option, verortet sich in einem komplexen Netz
aus Biopolitik und medizinischen sowie juristischen
Urteilen. Ein Netz, in dem die Betroffenen, vor allem
die Mutter des Kindes, zwischen vermeintlich freier
Entscheidungsfähigkeit und der gesellschaftlichen
Forderung nach Selbstoptimierung und Normierung
festhängen. In metaphorischen Bildern, die den heutigen
Angleichungswahn mit fließbandproduzierten
Playmobilfiguren assoziieren, entwickelt sich DIE
DRITTE OPTION zu einer politischen Abhandlung
über den gesellschaftlichen Umgang mit körperlicher
und geistiger Beeinträchtigung. Diese wird als
gefährliche Abweichung gedacht, im Konzept des
„Gnadentodes“ und der Eugenik wird das Töten eines
nicht der Norm entsprechenden Menschen vertretbar
– ein Gedanke, der auch in heutigen (Körper-)Diskursen
weiterlebt und die Entscheidung von Müttern
zu einem Zwang macht: zwischen einem Leben mit
krankem Kind und dem Töten des Fötus in der fortgeschrittenen
Schwangerschaft.
Kamerafahrten vorbei an Regalen voll uniformer,
gendercodierter Spielsachen, an prall gefüllten
Apothekenschränken, durch die kühle, antiseptische
Atmosphäre des Krankenhauses verdeutlichen die
enge Verknüpfung privater, medizinischer und politischer
Diskurse. Wir sehen Bilder von Menschen beim
Sport – ein Reigen gesunder, „normaler“ Körper –
sowie die besondere, individuelle Betreuung behinderter
Kinder. Die berührenden Off-Kommentare von
Betroffenen und Ärzt/innen kontrastieren mit lakonischen
Aufnahmen einer Fabrik für winzige Kindersärge.
Die Diskussion über jegliche Argumente und
Rechtfertigungen kommt jedoch zum Schweigen
angesichts des einsamen Paares bei der Bestattung
seines Kindes, dessen Behinderung noch vor der
Geburt über seinen Tod entschieden hat. Der dramaturgische
Kreis schließt sich mit spielenden Kindern
im Schwimmbad, dem Ausdruck ungezwungener
Lebendigkeit von Kinderkörpern, die sich ihrer politischen
Relevanz noch nicht bewusst sind.
Ein nachdenklich machender Film über die
Macht der Norm, über die Frage danach, was ein
Leben lebens- und gebärenswert macht, über die
Spannung zwischen Privatem und Politischem, die
zur Zerreißprobe für die Eltern und in über neunzig
Prozent der Fälle zu einem Todesurteil wird.
(Katalogtext, cw)