Heimat ist ein Raum aus Zeit
Dokumentarfilm, DE/AT 2019, Farbe+SW, 218 min., OmeU
Diagonale 2020
Regie, Buch: Thomas Heise
Kamera: Stefan Neuberger
Schnitt: Chris Wright
Originalton: Johannes Schmelzer-Ziringer
Produzent:innen: Johannes Rosenberger, Johannes Holzhausen, Constantin Wulff, Heino Deckert
Produktion: Navigator Film
Koproduktion: Ma.ja.de. (DE)
Diagonale’20 – Die Unvollendete. Die Diagonale’20 wurde aufgrund der behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 abgesagt.
Thomas Heise geht anhand einer Vielzahl mehrheitlich privater Dokumente der Geschichte seiner Familie nach, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Der Film folgt diesen Familienzeugnissen der persönlichsten Momente, streift, durchkreuzt, ist immer auch Teil der großen Ereignisse einer deutschen Geschichte. Mit zunehmender Dauer entwickelt er einen kontemplativen Sog, der nicht zuletzt aus dem Dialog des Intimen mit dem Poltischen entspringt.
In seinem fast vier Stunden langen Film geht Thomas Heise der Geschichte seiner Familie nach, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, von der Begegnung seiner Großeltern zwischen Wien und Berlin bis zu sich selbst. Entlang von Schulaufsätzen, Briefwechseln, Fragmenten biografischer Schriften, Kochrezepten, offiziellen Dokumenten und Zeitungsartikeln, die vom Filmemacher selbst verlesen werden, durchlaufen wir die Zeit. Der Film folgt diesen Familienzeugnissen der persönlichsten Momente – der Freude, der Trauer, der Liebe und der Sehnsucht, des Zweifels, der Hoffnung und der
Angst –, er streift und durchkreuzt, ist immer auch Teil der großen Ereignisse einer deutschen Geschichte.
In Umkehrung des gängigen Verhältnisses von Ton und Bild im Kino erzählen sich das Fortlaufen der Zeit und das Ineinander von Familienchronik und Geschichte erst einmal akustisch. Visuell finden sich neben Aufnahmen historischer Dokumente vor allem in der Gegenwart gemachte Bilder, die den Inhalt der Tonspur in einen abstrakten Gedanken übersetzen, ihn kommentieren oder atmosphärisch rahmen. Wiederkehrend fahren Züge durch den Film, Räume in der Zeit, die als visuelle Metaphern einerseits Denkbilder für die Geschichte und das Kino sind und andererseits einen Rhythmus vorgeben, den der Film als Ganzes aufnimmt, weiterführt, durchhält.
Heimat ist ein Raum aus Zeit entwickelt mit zunehmender Dauer einen kontemplativen Sog, der nicht zuletzt aus dem Dialog des Intimen mit dem Politischen entspringt. Dieser liegt in den Geschichten der Familienmitglieder selbst begründet, ist aber auch auf der Ebene des Regisseurs, in der Stimme, in der formalen Komposition spürbar. Die Fragen nach Haltungen – zu Systemen, konkret politischer und abstrakt philosophischer Natur – interessieren Heise hier in seiner eigenen Familie ganz so wie auch in den Menschen seiner frühesten Dokumentarfilme. Dieses Suchen und Untersuchen aber bleibt nicht analytisch, wird begleitet von einem Bedürfnis, die Menschen, die in diese Dokumente mit eingeschrieben sind, kennenzulernen, ihnen näherzukommen. Heimat ist ein Raum aus Zeit macht das Kino zu einem Raum aus Zeit, in dem wir der Geschichte durch Menschen – durch jene, die gelebt haben, und durch den Regisseur, der ihnen nachgeht – begegnen können.
(Katalogtext, ab)