Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Lillian
Spielfilm, AT 2019, Farbe, 128 min., OmdU
Diagonale 2020

Regie, Buch, Kamera, Musik: Andreas Horvath
Darsteller:innen: Patrycja Płanik
Schnitt: Michael Palm, Andreas Horvath
Originalton: Klaus Kellermann
Sounddesign: Ulrich Grimm
Kostüm: Tanja Hausner
Produzent:innen: Ulrich Seidl
Produktion: Ulrich Seidl Filmproduktion

 

Diagonale’20 – Die Unvollendete. Die Diagonale’20 wurde aufgrund der behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 abgesagt.

1927 wollte die in die USA emigrierte Russin Lillian Alling zurück in ihre Heimat. Da ihr das Geld für die Rückreise fehlte, machte sie sich zu Fuß auf den Weg. Andreas Horvath verlagert die Geschichte in die Gegenwart, Lillians Marsch wird zur atemraubend fotografierten Durchmessung von Donald J. Trumps heartland. Ein beeindruckender Film, der subtil und nachhaltig erschüttert.

Über die titelgebende Lillian (Patrycja Płanik) erfährt man in Andreas Horvaths Film nicht viel. In der ersten Szene trifft man sie bei einem New Yorker Hardcore-Porno-Produzenten, dem sie Modelfotos von sich zeigt. Als sie keine gültigen Arbeitspapiere hat, rät er ihr, nach Russland zurückzugehen, und das wird sie versuchen. Mit einem kleinen Rucksack und zu Fuß macht sie sich auf den Weg. Macht ab und an in leer stehenden Häusern halt, um etwas zu essen zu stehlen, manchmal um zu duschen, halbwegs sicher zu schlafen. Im ersten Haus steckt sie eine Landkarte ein. Über den Mittleren Westen will sie durch die Rocky-Mountains-Region nach Kanada, British Columbia, dann entlang des Yukon über die Beringstraße nach Russland. Horvath rekonstruiert Lillian Allings Fußmarsch anhand überlieferter Berichte. Das letzte Mal wurde sie offenbar 1929 in Alaska gesehen. Bis dahin war sie fast vier Jahre unterwegs gewesen und hatte mindestens achttausend Kilometer zurückgelegt.
Doch Horvaths in die Gegenwart versetzte, atemraubend fotografierte Annäherung ist viel mehr als faktische Darreichung. Mit Lillian, die während der ganzen Zeit so gut wie kein Wort spricht, streifen wir durch Donald J. Trumps heartland, durch eine unermessliche Landschaft, nicht nur eine physisch enorme, sondern auch eine ideologisch vielschichtige; durch weitläufige Kargheit, eigentümliche Tristesse. Wir werden überrascht von gespenstisch schönen Wetterkapriolen, geraten in Paraden und Barbecues – Orte, an denen Lillian essen und trinken kann. Immer wieder zeichnen Überwachungskameras – in kleinen Geschäften, auf Parkplätzen, in einem Waschsalon – Lillians Erscheinen und sofortiges Wiederverschwinden auf. Die junge Frau beschützen sie nicht.
Horvaths eigens komponierter Soundtrack pulsiert im Film wie eine latente Bedrohung. Manchmal meint man, sie festmachen zu können: an einem Mann, der Lillian belästigt und sie in ein Maisfeld verfolgt, oder an der Salzwüste, in der sie ohne Wasser strandet, oder an den großen Plakaten entlang eines Highways, die mit Gesichtern verschwundener Mädchen auf lauernde Abgründe hinweisen. Doch das ist es nicht. Vielleicht verunsichert Lillians traumwandlerische Entschlossenheit. Verärgert ihr verschwenderisches Umgehen mit Proviant. Beunruhigt die menschliche Beschränktheit, von der sie umgeben wie durchdrungen ist, und besonders dass Lillian die Kühnheit besitzt, den Versuch zu wagen, sie zu überwinden. Es ist nicht Mitgefühl, was Lillian sucht, ganz bestimmt auch nicht Verständnis. Vielleicht sucht sie gar nichts im land of the free. Weil Freiheit ihr so innewohnt.
(Katalogtext, az)

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