Diagonale
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Phaidros
Spielfilm, AT 2018, Farbe, 98 min., OmeU
Diagonale 2018

Regie, Buch, Schnitt: Mara Mattuschka
Darsteller:innen: Julian Sharp, May Teodosio, Tamara Mascara, Nicola Filippelli, Alexander E. Fennon
Kamera: Sepp Nermuth
Originalton: Werner Beham Markus Glatzl
Musik: Roumen Dimitrov
Sounddesign: Vinzenz Schwab
Szenenbild: Paul Horn
Kostüm: Peter Paradies
Produzent:innen: Mara Mattuschka

 

Diagonale-Preis Filmdesign 2018
Bestes Szenenbild
Bestes Kostümbild


Platonische Freundschaft im LBQT+-Milieu? Nicht ganz. Mara Mattuschkas neuester Streich Phaidros, Platons gleichnamigem Dialog nachempfunden, spielt in einer Großstadt der Gegenwart. Der Schauspieler Emil soll im Wortgefecht mit Werner Maria, der in die Rolle des Sokrates schlüpft, die Figur des Dichters Phaedrus verkörpern. Als die Grenzen zwischen Freundschaft und sexueller Anbahnung bald auch abseits des Bühnengeschehens verschwimmen, überschlägt sich das karnevalesk-schrille Szenario in grotesken Dreiecks- und Vielecksgeschichten, die zuletzt sogar ein Todesopfer fordern.

„Schauspiel ist Macht!“, lautet einer der zahlreichen lautstarken Zwischenrufe in Mara Mattuschkas neuem Spielfilm. Und in Phaidros ist alles Schauspiel, und alles ist Macht, ob auf der Bühne oder jenseits dieser. Dress to impress: Objekt der Begierde und heftig umworbener Spielball, um den sich das in barockes Gewand gehüllte Geschehen dreht, ist Emil Bach: ein attraktiver Jungschauspieler, der von seinem Vermieter, dem italienischen Modisten Maurizio Rossi, ebenso verehrt wird wie von Werner Maria Strauß, dem zwiespältigen Bühnenkollegen mit ausgeprägtem Herrschafts- und Besitzanspruch. Sozialisiert in der Homosexuellen-, Dragqueen- und Transgenderszene einer – schon allein aufgrund der Klangfarbe ihrer Bewohner/innen – unschwer als das Wien von heute erkennbaren Stadt, schenkt Emil seine Liebe zuallererst der transsexuellen Lorelei. Doch angesichts der hohen Anzahl von Mitbewerber/ innen und der daraus entstehenden Konflikte schlägt Mattuschkas Burleske rasch in ein bizarres Endzeitszenario um, in dem Emils Outing „Ich bin schwul“ die sinistre Dragqueen Madame Oh kaum noch zu beeindrucken vermag: „Was tut das zur Sache? Bei mir bist du alles!“ Gestärkt durch Loreleis Zuneigung beginnt Emil, sich zunehmend von der passiven Rolle einer Projektionsfläche für die Gelüste anderer zu distanzieren, und beansprucht Selbstbestimmtheit. Doch dann kommt Werner Maria unter rätselhaften Umständen zu Tode, und Emil stößt im Zuge seiner Nachforschungen auf eine gruselkabinetthafte Adaption von Platons „überhimmlischem“ Ort, an dem idealtypische Schönheit – laut Platon die Basis allen Begehrens – mit bitter-süßem Nachgeschmack erfahren werden kann. „Wahnsinn“ mag, dem antiken Originaltext folgend, „Ergri enheit der Seele“ bedeuten; im Fall von Mattuschkas Phaidros legen die stark überzeichneten, der sogenannten „Normalität“ enthobenen Antihelden in einem Gestus der Selbstironie aber auch das dem Wahnsinn innewohnende korrektive Potenzial frei und reklamieren damit zugleich ein Recht auf subversive Lebensentwürfe für sich. Inmitten dieses kostümüberfrachteten hypersexualisierten Settings stehen die Figuren damit weniger für das Ideal romantischer Liebe, als dass sie augenzwinkernd subversive Körperlichkeiten und Geschlechteridentitäten jenseits der heterosexuellen Matrix ins Spiel bringen. Das mag so manche Blickregime aus ihrer gewohnten Verankerung heben; außer Zweifel steht jedoch, dass hier ein weiteres Kleinod aus Mara Mattuschkas weitverzweigtem künstlerischem Verweissystem vorliegt. Neues niemals scheuend, kann die langjährige Diagonale-Teilnehmerin mittlerweile auf ihre eigene kleine Festival-Filmografie zurückblicken. Und das mit gutem Recht.
(Katalog,ar)

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