Hiding in the Lights
Innovatives Kino, AT/IT/ES/DE 2020, Farbe, 73 min., kein Dialog
Diagonale 2021
Regie, Buch: Katrina Daschner
Kamera: Hannes Böck
Schnitt: Hannes Böck, Katrina Daschner
Musik: Sabine Marte
Szenenbild: Monika Rovan
Kostüm: Markus Pires-Mata, Guilherme Pires-Mata
Weitere Credits: Regieassistenz: Anna Spanlang, Nick Prokesch
Performer*innen: Hyo Lee, Gisi Håkansson, Denice Bourbon, Captain Cunt, Denise Kottlett, Sushila Mesquita, Stefanie Sourial, Sabine Marte, Moira Hille u. a.
Produzent:innen: Katrina Daschner
Produktion: Lady Chutney Production
In einer Alchemie der Stoffe und Substanzen inszeniert Katrina Daschner queere Begehrensstrukturen: Architekturdetails, Körper und Materialien sind erotisch aufgeladen und fetischhaft inszeniert, belebte und unbelebte Materie verschmilzt mit den Performer/innen. Dieser queere Reigen in acht Teilen stellt gleichzeitig zitathaft eine Reise durch die kulturindustriellen Ursprünge des Kinos in Varieté, Revue, Zirkus und Jahrmarkt als Orten der inszenierten Schaulust dar.
„Masken werden aus verschiedenen qualitätsvollen Materialien gemacht: Karton, Samt, Fleisch, dem Wort. Die fleischliche Maske und die verbale werden zu allen Jahreszeiten getragen“, schreibt die Künstlerin und Meisterin der mit Identität spielenden Verkleidung Claude Cahun 1926. Gleichzeitig ließe sich dieser Satz als Regieanweisung in Katrina Daschners Hiding in the Lights lesen. Denn in der gerafften abschließenden Version der achtteiligen Serie, die sich lose an Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ anlehnt, ist jede Folge einer anderen detailreichen Inszenierung von Orten und Körpern, Kostümen und Masken gewidmet, die sich aufwendig, materialobsessiv und faszinierend entfaltet.
Anders als in Schnitzlers literarischer Vorlage, in der die Maske als Zeichen der Scham gelesen werden kann, sind hier, wie auch bei Cahun, Masken und Kostüme komplexe Marker der Dekonstruktion von Fiktion und Realität, der Verschmelzung von performativer Identität und dem „wahren“ Selbst.
Diese Ambiguität sowie die erzählten Fantasien
durch das unausgelebte sexuelle Begehren des bürgerlichen Ehepaares haben die Filmemacherin am ursprünglichen Stoff interessiert. In der queeren Lesart des Texts schweift sie dann vom Geschehen ab in einen Reigen von Performancevignetten, in denen alles, von den Architekturdetails über Vorhangstoffe und Tapetenmotive bis zu nackter und bekleideter Haut, erotisch aufgeladen ist. Doch es sind nicht nur diese Aufladung sowie die fetischhafte Inszenierung, sondern auch das Verschmelzen und Animieren diverser Lebewesen, Stoffe und Materialitäten, die hier im alchemistischen Prozess des Filmemachens stattfinden: Pferde und Menschen vereinigen sich, hybride Pflanzenwesen werden geboren, Seeanemonen und Korallen treffen auf Flitter und Perlenschnüre.
Ironie, Theatralik und Humor, also puren Camp inszeniert Daschner ganz wunderbar, sei es im zweiten Teil, in dem die revuegirlgleichen Performerinnen sich unter dem Applaus der unsichtbaren tobenden Menge wieder und wieder verbeugen müssen. Oder im fünften Teil Pferdebusen, in dem der in beinahe allen Folgen auftretende Queer-Performance-Squad aus einer Vagina dentata steigt. Doch die Künstlerin kennt auch die Kinogeschichte und zitiert Varieté, Burlesque, Revue und Zirkus als kulturindustrielle Vorläufer des Kinos. Dessen Utopie, die Raum und Zeit, Fiktion und Wirklichkeit und nicht zuletzt heteronormative Ordnungen und Rollenzuweisungen implodieren lässt, kann sich in Hiding in the Lights behaupten.
(Katalogtext, cs)