Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Paradies! Paradies!
Dokumentarfilm, AT 2016, Farbe, 78 min., OmdU
Diagonale 2016

Regie, Kamera: Kurdwin Ayub
Darsteller:innen: Omar Ayub und Familie
Schnitt: Nooran Talebi
Sounddesign: Rudolf Pototschnig
Weitere Credits: Dramaturgie: Constantin Wulff
Produzent:innen: Rudi Takacs, Lixi Frank
Produktion: Takacs Filmproduktion

 

Beste Bildgestaltung Dokumentarfilm 2016

1991 floh Kurdwin Ayub gemeinsam mit ihrer Familie aus dem Irak nach Österreich. Fast 25 Jahre später begleitet sie ihren Vater auf seiner Reise in die frühere Heimat. Während dieser über eine dauerhafte Rückkehr nachdenkt, fühlen sich Kurdwin, ihre Cousins und Cousinen als Fremde. Ein intimes, stellenweise skurriles und ernüchterndes Generationenporträt über Ver- und Entwurzelung als individuelles Familienschicksal und gleichzeitiges Massenphänomen des 20. und 21. Jahrhunderts.

Was ist Heimat? Und wo wird sie verortet? Kurdwin Ayub, 1990 als Kurdin im Irak geboren, floh 1991 gemeinsam mit ihrer Familie nach Österreich. Fast ein Vierteljahrhundert später begleitet sie ihren Vater Omar auf einer Reise in den Norden des Irak. Während Omar voller Enthusiasmus nach einer Eigentumswohnung sucht, um früher oder später nach Kurdistan zurückzukehren – ins Paradies auf Erden, wie er seine alte Heimat in Lobeshymnen glorifiziert –, sieht sich Kurdwin mit einer ihr unzugänglichen Lebenswelt konfrontiert: einer anderen Kultur, anderen Gepflogenheiten und einer Sprache, die sie nicht beherrscht – im Herkunftsland ihrer Eltern ist sie eine Fremde. Auch inmitten ihrer Familie, ihrer Großeltern, Tanten, Onkeln, die inzwischen ihr deutsches Exil verlassen haben und wieder im Irak leben, fühlt sie sich unbeheimatet: „Omar, lässt du mich jetzt allein? Ich hab gar nichts hier. Kein Internet, keine Sprache.“
Doch nicht nur Kurdwin fällt die Identifikation schwer, auch ihre Cousins und Cousinen fühlen sich hier nicht zu Hause. In Deutschland sozialisiert mit TV, Popmusik und Smartphone – in Frieden und (Konsum-)Freiheit –, will vor allem der 16-jährige Haiman so schnell wie möglich wieder zurück. Während die älteste Generation im Wohnzimmer betet, hängen die Jugendlichen also auf der Couch herum und schauen fern oder führen im Kinderzimmer ein spielerisches Hinrichtungsszenario mit anschließendem Eintritt ins von Jungfrauen bevölkerte Jenseits auf. Immer wieder fühlt man sich in diesen Szenen an frühere Arbeiten Ayubs erinnert, wird die Kamera zur direkten Adressatin performativer, vermeintlich spielerischer Selbstdarstellung und -reflexion.
Mit Fortdauer der Reise muss sich auch Omar die Illusion einer steten, immerwährenden Heimat eingestehen, seine verklärenden Erinnerungen werden zunehmend von der Realität eingeholt: Ein Zuhause definiert sich u. a. über Sicherheit, Stabilität, räumliche Orientierung – Omar findet hier nicht einmal seine neu erworbene Wohnung. Er tastet sich durch gefährliche Baustellen, zerbombte Straßen und zuletzt – in einer regelrecht unfassbaren Passage – sogar durch die Kampfzone der Peshmerga und des IS. Der Wiederaufbau des zerstörten Landes ist noch nicht vollendet, im „Paradies“ herrschen bereits die nächsten kriegerischen Konflikte. Kurdwin Ayubs Langfilmdebüt ist ein intimes, stellenweise skurriles und ernüchterndes Generationenporträt über Verund Entwurzelung als individuelles Familienschicksal und gleichzeitiges Massenphänomen des 20. und 21. Jahrhunderts.
(Katalogtext, mk)

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