RIMINI
Spielfilm, AT/DE/FR 2022, Farbe, 114 min., dOF
Diagonale 2022
Regie: Ulrich Seidl
Buch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Darsteller:innen: Michael Thomas, Tessa Göttlicher, Hans-Michael Rehberg, Inge Maux, Claudia Martini, Georg Friedrich
Kamera: Wolfgang Thaler
Schnitt: Monika Willi
Originalton: Klaus Kellermann
Musik: Fritz Ostermayer, Herwig Zamernik
Sounddesign: Matz Müller
Szenenbild: Andreas Donhauser, Renate Sturminger-Martin
Kostüm: Tanja Hausner
Weitere Credits: Casting: Eva Roth, Henri Steinmetz, Klaus Pridnig
zusätzlicher Schnitt: Andrea Wagner
Re-recording: Tobias Fleig
Executive Producers DE/FR: Sarah Nagel, Isabell Wiegand
Executive Producers: Dan Wechsler, Jamal Zeinal-Zade, Andreas Roald Associate Producer: Veronika Franz
Producers: Philippe Bober, Michel Merkt
Produzent:innen: Ulrich Seidl
Produktion: Ulrich Seidl Filmproduktion
Koproduktion: In Koproduktion mit
Bayerischer Rundfunk (DE), Arte France Cinéma (FR) in Zusammenarbeit mit Arte (DE) | In Koproduktion mit: Essential Films (DE),
Parisienne de Production (FR)
Ein ehemaliger Schlagerstar singt und säuft im winterlichen Rimini gegen die Wirklichkeit an. Ulrich Seidls neuer Film, der seine Uraufführung im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale gefeiert hat, ist das vielschichtige Porträt eines Taumelnden, formuliert in gewohnter Härte, versetzt mit überraschender Zärtlichkeit. In RIMINI steht Michael Thomas, der beste Crooner Österreichs, auf der Bühne, Inge Maux und Claudia Martini begeistern als seine Fans.
Rimini im Winter. Graue Wellen brechen am Strand. Die Bettenburgen aus Beton erheben sich über der menschenleeren Promenade, sind unbelebt, scheinen im ewigen Dämmerschlaf. Dichter Nebel legt sich über diesen Ort, als wolle er dessen Zweckmäßigkeit und Schmucklosigkeit einhüllen, verstecken. Durch die tristen Straßen schiebt sich einer, den Körper umschlungen von einem Seehundfellmantel, jeden Schritt fest auf den Asphalt aufsetzend: Das gibt Stabilität und versichert ihm, noch am Leben zu sein. Er heißt Richie Bravo und war mal wer, war mal einer, auf den die ganze Welt geblickt hat. Ein Schlagerstar, in dessen italienischer Villa lebensgroße Pappaufsteller immerzu an die Höhenflüge erinnern. Jetzt kämpft Richie um jede*n, die*der ihm zuhören will. In die Jahre gekommene Fans werden mit Bussen nach Rimini gebracht und lauschen in leeren Hotelrestaurants und Diskotheken seinen Liedern über Schnaps und Frauen und, immer wieder, Amore. Die Versprechen einer schöneren Welt bringen Geld. Und Richie braucht viel davon, vor allem für Spielautomaten und Alkohol. Von seinen weiblichen Fans lässt er sich sexuelle Zuwendungen bezahlen, so kommt er über die Runden. Doch dann bricht plötzlich Tessa in sein Leben ein. Zornig fokussiert sie den Trinker und Charmeur und stellt ihn schließlich zur Rede. Sie ist seine erwachsene Tochter und mit ihrem syrischen Freund nach Rimini gekommen, um Geld von ihrem Vater zu verlangen. Dafür, dass er sich nie um sie gekümmert hat. Das soll ihm leidtun. Die Welt von Richie Bravo steht vor dem Kollaps. In Italien versetzt er seinen Schmuck, in Österreich löst er das Sparbuch seines demenzkranken Vaters auf, der in einem Pflegeheim die immer gleichen Kreise zieht. Die Stimmung bricht, seine Singstimme ebenfalls. Eingeholt von der Vergangenheit, umzingelt von der Wirklichkeit verhallen die Lieder im Nebel. Richie Bravo ist aufgewacht. Und immer, immer wieder geht die Sonne auf.
Ulrich Seidl stellt den genialen Michael Thomas,mit dem er bereits mehrfach gearbeitet hat, ins Zentrum von RIMINI, dem ersten Teil eines Diptychons über zwei Brüder, die in der Ferne von ihrer Vergangenheit eingeholt werden: eine Eloge auf die Kaputtgegangenen und Gescheiterten, aufgerieben zwischen Geldwert und Amore, gefasst in klare Seidl-Kompositionen (Kamera: Wolfgang Thaler), die noch den letzten Rest Wahrheit herauskratzen aus dieser aufreibenden Familienaufstellung. Schon wieder ein großer Wurf und, muss man fast nicht dazusagen:
ein Meisterstück.
(Markus Keuschnigg)
Der Film wurde am 6.4.22 als Galapremiere mit Unterstützung von AVL Cultural Foundation und Fernsehfonds Austria in der Helmut List Halle aufgeführt.