Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Sehnsucht 202
Spielfilm, AT/DE 1932, Schwarzweiß, 86 min., dOF
Diagonale 2020

Regie: Max Neufeld
Buch: Irma von Cube, Emmerich Pressburger, Karl Farkas
Darsteller:innen: Magda Schneider, Louise Rainer, Fritz Schulz, Attila Hörbiger, Hans Thimig, Paul Kemp
Kamera: Otto Kanturek, Anton Pucher
Schnitt: Else Baum
Musik: Richard Fall
Produzent:innen: Arnold Pressburger, Gregor Rabinovitch
Produktion: Cine-Allianz Berlin

 

In der turbulenten Verwechslungskomödie geraten eine arbeitslose Stenotypistin und eine Millionärin auf der Suche nach einer Anlagemöglichkeit an zwei windige, dem Bankrott nahe Parfümeriebesitzer, die ihre Chance auf Rettung ihres Geschäfts wittern. Die Weltwirtschaftskrise macht aus den Wiener Flaneuren Entrepreneure und verwischt die Grenzen zwischen den Schichten.

Eine Verwechslung zieht häufig turbulente Folgen nach sich – davon erzählen die besten Komödien, und das ist auch in Sehnsucht 202 nicht anders. In einem Inseratenbüro werden zwei Annoncen vom überforderten Mitarbeiter unabsichtlich verwechselt. So geraten eine arbeitslose Stenotypistin und eine Millionärin auf der Suche nach einer Anlagemöglichkeit an zwei windige, dem Bankrott nahe Parfümeriebesitzer, die ihre große Chance gekommen sehen. Der Titel, Inspiration für das heurige historische Special der Diagonale und Hommage auf Namen edler Parfüms. Diese dienen bekanntlich mitunter auch vorzüglich dazu, den beißenden Geruch der Realität zumindest temporär zu überblenden.
Mit ein bisschen Risikobereitschaft große Gewinne erwirtschaften – das ist die Devise einer Zeit, in der die Wirtschaftskrise längst auch in Österreich angekommen ist. Das Glück herausfordern und als Sieger vom Platz gehen ist der heimliche Traum, den viele träumen. Und wieder andere versprechen die Erfüllung dieses Traums – ein Inseratenbüro etwa, das Werbung in einem Kino schaltet. Jeder arbeitet auf seine Weise, wendig, flexibel und gewitzt, auf das Glück hin.
(Katalogtext, Florian Widegger)

Der Künstler verkörpert im österreichischen Film der 1930er- und 1940er-Jahre das Credo, Glück habe keine Geschichte. Sein Zeitmaß sei der Augenblick. Die Glücksschmiede rechnen in anderen Dimensionen. Ihnen setzt die Gegenwart zu. Der Horizont ihrer Hoffnungen richtet sich auf die Zukunft. (…) Glücksschmiede stellen keine gesellschaftlichen Fragen. Ihre Existenz überantworten sie ihrer privaten Sorge. Hebeln wirtschaftliche und politische Zusammenhänge ihr Leben aus der Bahn, verfügen sie über einen entscheidenden Vorteil: sie werden trotz Erwerbslosigkeit, Wartens und Langeweile nicht apathisch. (…) Glücksschmiede besitzen eine rasche Auffassungsgabe, sind erfindungsreich, (beginnen zu) handeln und setzen auf Zufälle. Sie üben sich als Unternehmer in eigener Sache und sind mobil. Sie sind viele, bleiben aber einzeln. Sozial treten sie selten alleine, meistens als Freundespaar auf.
Sehnsucht 202 erzählt von Bobby und Harry, die sich neu orientieren. Ihrer Einstellung nach eher dem Flanieren denn dem Bilanzieren zugewandt, betreiben sie ein Parfümgeschäft. Diesem fehlt allerdings die Kundschaft. Im Männerhaushalt wird an Krisenlösungen gefeilt. Währenddessen begeben sich zwei Stenotypistinnen auf die Suche nach Arbeit. Manchmal verschlägt es sie dabei ins Kino. Dort wirbt Hesses Inseratenbüro gerade mit seinen Verdiensten: „Man riskiert nur eine Zeile und bekommt nach einer Weile, was man will und was man braucht und was man mag.“ Die arbeitslose Magda riskiert, wie auch die Millionärin Kitty, die eine Anlagemöglichkeit für ihr Kapital zu finden hofft. Die Annoncen werden versehentlich fusioniert und so sucht „Dame mit Millionenvermögen, junges intelligentes Mädchen Stellung gleich weder Art“. Bobby und Harry sehen mit dem Inserat ihre Rettung nahen. Magda taucht im Parfümladen auf und wird hofiert. Das letzte Geld dient als Vorschuss für ihren Lohn. Bobby, der keine Verlegenheiten kennt, trifft im Inseratenbüro Kitty, die vergebens auf Post wartet. Er ist hingerissen von ihrem Parfüm, sprüht vor Selbstbewusstsein, Koketterie und verwegenen Anspielungen. Magdas vermeintlicher Reichtum bleibt derweilen unsichtbar. Ihre Reklameideen zeigen Bein, machen Blinde sehend und locken Kunden ins Geschäft. Zu wenige, um zu sanieren. Der Himmel über Wien zieht sich grau und unwirtlich zusammen. Die Frauen sehen im Handeln der Männer einzig Kalkül und Eigennutz. Jetzt kann nur noch der Gang zu Hesse helfen. Vor dem Schalter mit der Rubrik „Heirat“ treffen sich die vier wieder. Esprit wird sich mit Kapital verbinden. Die Utopie heißt jedoch nicht Karriere, sondern Müßiggang mit Stil.
(Elisabeth Büttner in: Filmhimmel Österreich: 100 Programme zur Geschichte des österreichischen Films von den Anfängen bis zur Gegenwart, Heft 43, Wien 2006.)

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