Favoriten
Dokumentarfilm, AT 2024, Farbe, 118 min., OmeU
Diagonale 2024
Regie: Ruth Beckermann
Buch: Ruth Beckermann, Elisabeth Menasse
Darsteller:innen: Ilkay Idiskut und 25 Schüler:innen
Kamera: Johannes Hammel
Schnitt: Dieter Pichler
Originalton: Andreas Hamza
Sounddesign: Andreas Hamza
Weitere Credits: Regieassistenz: Elisabeth Menasse; Produktionsassistenz: Jana Waldhör; Postproduktionskoordination: Franziska Aringer
Produzent:innen: Ruth Beckermann
Produktion: Ruth Beckermann Filmproduktion
Nerjiss, Liemar, Alper und Furkan gehen in die zweite Klasse der größten Volksschule Wiens im 10. Bezirk, Favoriten. Drei Jahre lang hat Ruth Beckermann die Klasse mit der Kamera begleitet – vom kleinen Einmaleins bis zur ersten Schularbeit, vom Ausflug in die Moschee bis zum Besuch des Stephansdoms, von Elternsprechtag bis Fasching. Während die Kinder sich auf die Mittelschule vorbereiten, fängt ihre Lernumgebung an zu bröckeln. Und als die Lehrerin Frau Idiskut schwanger wird, kann niemand sie vertreten.
Die größte Volksschule Wiens liegt im 10. Bezirk Favoriten. Nerjiss, Liemar, Alper und Furkan besuchen hier die zweite Klasse, in der mehr Sprachen gesprochen werden, als Kinder sind. Gemeinsam lernen sie nicht nur, wie man buchstabiert und multipliziert, sondern auch, wie man sich nach einem Streit wieder verträgt. Denn der Klassenlehrerin Frau Idiskut sind Umgangsformen und Selbstermächtigung der Kinder ebenso wichtig wie der Lernstoff. All das kann auch abseits des Klassenraums vermittelt werden. Etwa beim Besuch einer Moschee oder des Stephansdoms. Immer mit dabei: die Kamera.
Vom Herbst 2020 bis ins Frühjahr 2023 haben Ruth Beckermann und ihr Team die Klasse begleitet, von der ersten benoteten Arbeit bis zum anstehenden Schulwechsel. Ganz im Sinne des Direct Cinema ist Beckermanns neuer Film eine umsichtige Langzeitbeobachtung, die vom Alltäglichen den Blick aufs Strukturelle hin weitet. Nach drei Jahren und zwei Stunden Film wird die Doppeldeutigkeit des Titels klar: Die Kinder zählen nicht gerade zu den „Favoriten" der österreichischen Gesellschaft. Spätestens wenn der Direktor verkündet, dass die Schulpsychologin und die Sozialarbeiterin ersatzlos ausfallen, wird deutlich, wie desolat die Lage ist – und wie groß der Druck, der auf den Lehrer:innen lastet. Und als Frau Idiskut in den Mutterschutz geht, sieht es aus, als könnte niemand sie vertreten.
Nicht nur in emotionalen Momenten wie diesem ist die Kamera angenehm zurückhaltend und dabei gleichzeitig ganz nah dran. Noch unmittelbarer wird es, wenn die Kinder sich zuweilen selbst mit ihren Smartphones filmen und gegenseitig interviewen. Neben Fragen zu Hobbys und Lieblingsessen wird auch Komplizierteres verhandelt: „Weißt du, was Kultur ist?“ – „Das ist etwas, das man macht, aber nicht so oft“, lautet eine Antwort von vielen. (Eva Königshofen)
Diagonale Nachspann am Sonntag 7. April: Filmemacherin Ruth Beckermann im Gespräch mit Stefan Grissemann (Kultur-Ressort-Leiter „Profil") über dokumentarische Strategien, das Arbeiten mit Kindern und die Schulklasse als Ort einer möglichen Utopie.
Bei der Vorstellung am 4. April um 20.30 Uhr wird eine Audiodeskription für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen angeboten.