Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Onkel Wanja
Spielfilm, AT 2017, Farbe, 134 min., 14.03. dOV / 16.03. OmeU
Diagonale 2018

Regie, Buch, Schnitt: Anna Martinetz
Darsteller:innen: Martin Butzke, Korinna Krauss, Manuel Rubey, Wolfgang Hübsch, Julia Dietze, Michael Kranz, Katalin Zsigmondy, Marion Krawitz, Doris Buchrucker
Kamera: Jakob Wiessner
Originalton: Martial Kuchelmeister
Musik: Michael Kranz
Szenenbild: Anna Sophie Howoldt
Kostüm: Anna Sophie Howoldt
Produzent:innen: Anna Martinetz, Toni Nottebohm
Produktion: NoMa Filmproduktion
Koproduktion: ZDF Kleines Fernsehspiel

 

Film trifft (Familien-)Theater. Anna Martinetz transferiert Tschechows „Onkel Wanja“ in die 2010er-Jahre. Statt der Wälder sterben darin Bienen. Das russische Landgut steht irgendwo im österreichischen Flachland. Und ein Kollaps am Finanzmarkt bewegt einen in die Jahre gekommenen Großbankier dazu, fluchtartig die Stadt zu verlassen, um mitsamt seiner Frau auf dem entlegenen Gutshof seines Schwagers Wanja unterzutauchen. So weit der Plan – wäre da nicht die gesamte Großfamilie, die das Zusammenleben rasch zur existenziellen Herausforderung werden lässt.

Räumlich isoliert und umgeben von Familienmitgliedern hadert Wanja mit seinem Schicksal als Herr eines Gutes, das er nach dem Tod seiner Schwester gemeinsam mit seiner Nichte Sonja bewirtschaftet. Weder geht ihm die schwere körperliche Arbeit leicht von der Hand, noch scheint ihm das Liebesglück hold zu sein. Sein von Ressentiments geprägter Daseinskonflikt wird genährt vom Werben um Elena, die Frau seines Schwagers Alexander, die auch vom gewieften und adretten Arzt Astrow verehrt wird. Aber nicht nur deshalb macht Wanja die unangekündigte Ankunft des ungleichen Paares, das auf dem Gut Zuflucht vor den wirtschaftlichen Unruhen der Großstadt sucht, zu schaffen. Als Alexander vorschlägt, den Hof zu veräußern, in den Wanja über Jahre hinweg seine Lebenskraft investiert hat, kann er einem Mordversuch durch seinen Schwager nur um Haaresbreite entgehen. Tschechows Vierakter aus dem Jahr 1897 dient Anna Martinetz als Vorlage für ihren gleichnamigen Spielfilm, in dem sie Dramendialoge mit aktueller Alltagsprache kombiniert und damit eindrücklich die Anschlussfähigkeit des Textes an gegenwärtige Lebenswelten demonstriert. „Bilder aus dem Landleben“ untertitelte Tschechow damals sein Stück – die Probleme, mit denen sich die Landbevölkerung im Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts konfrontiert sah, boten sich der Regisseurin von Anbeginn für eine Reinterpretation an. Anstatt der Mühsal des Kultivierens und Urbarmachens von Grund und Boden inmitten gesellschaftspolitischer und infrastruktureller Umwälzungen wird anno 2017 das Bienensterben auf den Plan gerufen – verstanden als Endzeitmetapher par excellence und als reale sozialökologische Herausforderung unserer Generation. Indem in Onkel Wanja dokumentarisches Material aus dem Krisenjahr 2008 Eingang findet – etwa in Gestalt von Straßenkämpfen zwischen protestierenden Bürger/innen und Exekutivkräften oder von Korrespondenzen führender Finanzchefs –, stattet Martinetz Tschechows Motiv der Krise mit Aktualität und dem Potenzial der Zeitgenossenschaft aus: Die Zeitlosigkeit des Tschechow’schen Stoffes hat an Strahlkraft nichts eingebüßt. Martinetz’ Adaption von Arthur Schnitzlers „Fräulein Else“ war der erste Teil einer Trilogie, die nach Onkel Wanja mit Shakespeares Drama „Der Kaufmann von Venedig“ abgeschlossen werden soll. Man harre also gespannt der Dinge, die da noch kommen mögen.
(Katalog, ar)

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