Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Die Blumen von gestern
Spielfilm, DE/AT 2016, Farbe, 125 min.
Diagonale 2017

Regie, Buch: Chris Kraus
Darsteller:innen: Lars Eidinger, Adèle Haenel, Jan Josef Liefers, Hannah Herzsprung, Sigrid Marquardt, Bibiana Zeller, Rolf Hoppe, Dnejabu Jalloh, Eva Löbau
Kamera: Sonja Rom
Schnitt: Brigitta Tauchner
Originalton: André Zacher
Musik: Annette Focks
Sounddesign: Philipp Mosser, Reinhard Schweiger
Szenenbild: Silke Buhr
Kostüm: Gioia Raspé
Weitere Credits:
Maske: Heiko Schmidt, Kerstin Gaecklein
Tonmischung: Bernhard Misch
Produzent:innen: Danny Krausz, Kathrin Lemme, Koproduzenten Chris Kraus, Gerd Huber, Kurt Stocker
Produktion: Dor Film-West, Four Minutes Filmproduktion, Dor Film

 

Totila Blumen hat als Holocaust-Forscher nichts zu lachen. Seine NS-Vorfahren, die „Blumen von gestern“, drücken so schwer auf sein Heute, dass er vor lauter Schuld kaum mehr stehen kann. Als die neurotische jüdische Praktikantin Zazie auftaucht, prallen nicht nur zwei widersprüchliche Menschen, sondern mit Lars Eidinger und Adèle Haenel auch zwei großartige Schauspieler aufeinander.

Totila Blumen (Lars Eidinger) lacht selten, und er gerät leicht in Rage, die sich bei dem Mittvierziger auch schnell mal in massiven Handgreiflichkeiten entlädt. Und warum auch nicht? Die Welt ist schlecht, niemand weiß das so gut wie er: Totila Blumen ist Holocaust-Forscher. Er selbst musste einst mit Fassungslosigkeit entdecken, dass sein Großvater als SS-Offizier für die Liquidierung der Juden in Riga verantwortlich war. Außerdem ist Totila impotent – spätestens seit dieser erschütternden Erkenntnis. An der „Zentralen Stelle“ in Ludwigsburg, wo Blumen arbeitet, schwingt er unermüdlich die Moralkeule, weil die anderen sonst korrumpiert verlottern: Sein Chef Balthasar (Jan Josef Liefers) will die Räumlichkeiten für den anstehenden Auschwitz-Kongress einer Bio-Food-Firma zur Verfügung stellen. Als man ihm dann auch noch die sehr nervige und, wie er, sehr neurotische französische Studentin Zazie (Adèle Haenel) als Praktikantin anhängt, mutiert Totila endgültig zu einem einzigen Schuldkomplex auf zwei Beinen. Zazie, die eine Affäre mit Balthasar hat, ist Jüdin, deren Großmutter im Konzentrationslager ermordet wurde. Doch Zazie ist lebendig, und zwar sehr. So sehr, dass sie selbst Totila das einhaucht, was man Leben nennt.
(Katalogtext, az)

Regisseur Chris Kraus nimmt nie die Pose der Provokation ein und entfernt sich doch meilenweit von den betulichen Gedenkritualen, in denen sich die offizielle Vergangenheitsbewältigungskultur (…) so gemütlich eingerichtet hat. Er betrachtet ein scheinbar durchdekliniertes Thema auf erfrischende Weise neu, indem er es strikt persönlich behandelt und in seinen neurotischen Figuren die verstörenden Facetten in all ihrer Ambivalenz zum Klingen bringt. (…) Kraus’ Dialoge sind von fast schon Woody Allen’scher Brillanz und Schnelligkeit. In ihnen bilden sich die verzweifelten Suchbewegungen der Figuren ab. Gerade die verbalen Entgleisungen des übereinander stolpernden Noch-Nicht-Liebespaares bringen die Dinge oftmals auf den Punkt. Dann wieder schafft der Film Raum, in dem die Figuren in ihrer unbeholfenen Verletzlichkeit zutiefst berühren. Ein solches Wechselbad muss man nicht nur schreiben und inszenieren, sondern vor allem auch spielen können. Lars Eidinger arbeitet sich tief in die Neurosen seiner Figur ein, ohne sie zur Karikatur verkommen zu lassen. Ihm gegenüber steht die hochbegabte Adèle Haenel, die Zazies Stimmungen unberechenbar wie eine Flipperkugel durch den Raum schießen lässt.
(Martin Schwickert, Die Zeit)

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